Meine Schwiegermutter ist cooler als deine
allenthalben
murmeln die Fußballexperten das Mantra: »Wer Argentinien schlägt, wird Weltmeister.« Deutschland trifft daraufhin auf Italien.
Italien gewinnt – nicht glücklich, sondern ziemlich verdient – mit 2:0 nach Verlängerung. Und wird anschließend ebenfalls
nicht ganz unverdient Weltmeister. Klar, Italien hat DEUTSCHLAND rausgeschmissen, dabei hatte man sich gerade so schön reingetaumelt
in diesen schwarzrotgoldenen Jubel, der jedem echten Fußballfan suspekt sein musste. Wegen dieser Niederlage findet man die
italienische Mannschaft irgendwie doof. Verständlich, aber nicht zu ändern. Tatsache ist, dass wir 2006 keine überragende
Mannschaft ins Rennen schicken konnten; es bleibt Jürgen Klinsmanns Verdienst, so viel aus so wenig gemacht zu haben. Und
es war möglicherweise Jürgen Klinsmanns Fehler, Jens Lehmann Oliver Kahn vorgezogen zu haben, denn ich glaube, dass Kahn |48| das 1:0 von Grosso gehalten hätte. (Lehmann-Fans mögen einwenden, dass man mit dem angeblich elfmeterschwachen Kahn das Elfmeterschießen
gegen Argentinien wohl nicht gewonnen hätte, während Kahn-Fans kontern, dass Kahn ja im Finale der Champions League 2001 sehr
wohl seine Qualitäten als Elfmetertöter unter Beweis stellen konnte, aber wenn Sie das wirklich ausdiskutieren wollen, sind
Sie im falschen Buch.)
Jedenfalls hatte ich bei der WM ein einziges Spiel gesehen: Tunesien gegen Saudi-Arabien, ein munteres 2:2 in der Münchner
Allianz Arena. Karten für interessantere Spiele waren nicht aufzutreiben gewesen. Aber ich würde meinen Enkeln dereinst erzählen
können, dass ich zur WM mit dem Fahrrad gefahren war. Zum Halbfinale war ich gerade auf Reportage in Ungarn (fragen Sie nicht
nach) und sah mir das Spiel mit drei Dänen in einem gottverlassenen Hotel 50 Kilometer außerhalb von Budapest an. Die Dänen waren mir sympathisch, bis sie, als das 1:0 in der Verlängerung fiel, »Schade,
Deutschland, alles ist vorbei« sangen. Auf Deutsch, natürlich. Verfluchte Skandinavier – können jede Sprache fließend. Wir
haben einfach nicht viele Freunde in Europa. Schon gar nicht im Fußball.
Und dann war alles vorbei, und mein Handy lag stumm neben mir. Erst nach fünf Minuten meldete sich Minnie. Später erzählte
man mir, dass keiner so recht durchklingeln wollte, man musste regelrecht losen. Minnie war ganz gefasst, »faires Spiel«,
»gut gekämpft« und so weiter, doch nach einer halben Minute Anstandszeit brach sich im Hintergrund dann doch der Jubel Bahn,
und zwar so laut, dass ich das Handy in einigem Abstand halten musste, und auch Minnie konnte die Maske der Ernsthaftigkeit
nicht |49| mehr aufrechterhalten und beschimpfte mich aufs Herzlichste.
Weltmeisterschaften lassen nationale Ressentiments aufs Unschönste hochkochen, und die italienische Presse griff dankbar auf,
dass in der deutschen Boulevardpresse bei der Stimmungsmache vor dem Match suggeriert worden war, das Land südlich der Alpen
sei im Wesentlichen von Pizzabäckern und Mafiakillern bevölkert. Da konnte man den Italienern fast gönnen, dass sie die Deutschen
geschlagen hatten. Aber natürlich nur fast. Blöde Pizzabäcker.
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Karl-Heinz Schnellinger ist die Antwort auf eine der cleversten Sportfragen – welcher deutsche Fußballer bestritt mehr Länderspiele
als Bundesligaspiele?
|50| Die eingebildete Kranke
Mein Freund Thomas, der schon ein bisschen älter ist und drei Jungs im Teenageralter hat (die arme Sau), kriegt ab und zu
einen Schnupfen. Dann legt er sich sofort ins Bett und bittet seine Frau, die Kinder reinzuschicken, damit er sie noch einmal
sehen kann, bevor er stirbt. Aber er ist die Ausnahme. Alle anderen meiner Freunde sind hart wie Carrara-Marmor. Christoph
spendet beinahe wöchentlich Blut, Frank reist dauernd in Regionen, die noch nie ein weißer Mann betreten hat, und lässt sich
vorher Impfspritzen von der Größe texanischer Pumpguns in den Hintern jagen, Tim steht am liebsten mit 40 Grad Fieber auf der Bühne, und Stefan schleppt irgendeine Malaria mit sich herum, die öfter mal ausbricht. Aber er redet nicht
groß drüber. Wenn ich zum Zahnarzt gehe, nehme ich immer mein Fotohandy mit, um mich mit meinem blutigen Latz während der
verschiedenen Behandlungsstadien zu fotografieren. In Berlin wäre ich mit dieser Fotoserie schon ein bedeutender Künstler
geworden, aber Berlin ist für jemanden, der nicht fliegt und jedes Wochenende in Italien sein will,
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