Meine Seele gehoert dir - Angelfire ; Bd. 1
führte, wurde von Bücherschränken gesäumt. An einem Arbeitstisch saß ein junger Mann vor einem Buch, das dicker aussah als mein Oberkörper. Ein Mädchen in Wills Alter saß ihm gegenüber. Sie war asiatischer Herkunft, mit langen schwarzbraunen Haaren und einem bezaubernden Lächeln.
Der junge Mann, der ebenfalls in Wills Alter sein mochte, war unnatürlich blass, als käme er nicht oft nach draußen. Er sah ein bisschen aus wie ein Bücherwurm, aber einer von der netten, skurrilen Sorte. Sein goldbraunes Haar war ein wenig zerzaust, und er gehörte offensichtlich nicht zu den Typen, die viele Gedanken an ihr Äußeres verschwendeten. Zur Begrüßung schenkte er uns ein schiefes Grinsen.
»Hey, Nathaniel«, sagte Will. Er nickte dem Mädchen zu. »Lauren.«
Nathaniel sah nur mich an, und sein Lächeln erinnerte mich an Mr Meyer, obwohl er kaum älter wirkte als Will. Er war mir auf Anhieb sympathisch, und ich erwiderte sein Lächeln. Seine lebhaften Augen waren kupferfarben und schimmerten wie polierte Pennymünzen. Immer wenn er die Blickrichtung änderte, blitzten sie auf.
»Schön, dich wiederzusehen«, sagte Nathaniel strahlend. »Ist ganz schön lange her.«
»Entschuldigung. Kennen wir uns?«, fragte ich, da ich mich nicht an sein Gesicht erinnern konnte.
»Oh ja«, sagte er. »Wir kennen uns seit vielen Jahrhunderten. Will hat mir schon gesagt, dass deine Erinnerung nur langsam wiederkehrt, aber mach dir keine Sorgen. Das kommt schon noch.«
»Das hoffe ich.«
»Du bist genauso hübsch wie eh und je«, sagte er.
»Danke.«
Das Mädchen stand auf und hielt mir die Hand entgegen. »Du musst Ellie sein.«
»Ja, die bin ich«, erwiderte ich lächelnd.
»Lauren Tsukino. Schön, dich kennenzulernen. Ich lass euch jetzt in Ruhe arbeiten. Schaust du das bitte für mich durch, Nathaniel?«
»Na klar. Ich melde mich bei dir.«
Lauren schlüpfte an uns vorbei und verschwand durch die Tür.
Nathaniel wandte sich wieder an mich. »Lauren ist ein sehr begabtes Medium«, erklärte er. »Neulich hat sie gespürt, dass irgendetwas sich genähert hat, und das hat sie ziemlich erschreckt. Es wäre gut, wenn sie die Zukunft voraussagen könnte – dann hätten wir das geregelt. Leider reichen ihre seherischen Fähigkeiten dazu nicht, aber wenn sie spürt, dass ein Reaper im Anmarsch ist, dann ist das so sicher wie das Amen in der Kirche!« Er strahlte, als hätte er gerade einen unglaublich komischen Witz erzählt.
»Ich wusste nicht, dass es wirklich Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten gibt, bevor Will mir davon erzählt hat«, sagte ich und warf einen Blick auf die Bücher, mit denen Nathaniel sich beschäftigte.
»Oh ja«, rief er. »Wenn sie nicht zu Verbrechern werden, sind sie unsere wertvollsten Verbündeten. Lauren ist uns schon oft eine große Hilfe gewesen. Genau wie dein Lehrer. Frank Meyer.«
» Mr Meyer ?«, fragte ich fassungslos. »Machst du Witze?«
»Er ist vor kurzem bei einer Jagd ums Leben gekommen«, erklärte Nathaniel. »Aber das weißt du ja. Dafür, dass er ein Mensch war, war er gar nicht schlecht, aber im Alter wurde er langsamer. Der Reaper konnte ihn überwältigen.«
»Du willst mir erzählen, dass mein Wirtschaftskundelehrer ein Reaper jagender Hellseher war? Ganz schön heftig für einen Highschool-Lehrer.«
»Frank war einer der besten«, sagte Will.
»Oh, Mann! Ich hatte ja keine Ahnung, dass er so cool war!« Will lachte. »Als Teenager war er ein ziemlich wilder Typ. In seinen Zwanzigern ging’s dann noch mehr zur Sache.«
»Dann hast du ihn damals schon gekannt?«
Sein Lachen schwand. »Genau wie du.«
»Dann kannte ich ihn in einem früheren Leben?«, fragte ich ungläubig.
Er warf Nathaniel einen kurzen Seitenblick zu. »Ja, in Chicago. Vor etwa fünfundvierzig Jahren. Er war ein guter Freund von uns. Ich habe vor Kurzem mit ihm gesprochen, und er hat mir erzählt, dass er dich sofort erkannt hat, als du auf seine Highschool gekommen bist. Er hatte dich nie vergessen und fand es ganz schön schräg, dich nach all den Jahren wiederzusehen. «
»Ich kannte ihn?«, wiederholte ich, während mir tausend Fragen und Gedanken durch den Kopf schossen. »Da muss er ungefähr zwanzig gewesen sein, stimmt’s? Warum hat er denn nie was zu mir gesagt? Er hat einfach so getan, als wäre ich eine ganz normale Schülerin. Er hat früher mit uns gekämpft? Ausgerechnet Mr Meyer soll ein Doppelleben geführt haben!« Ich wünschte, ich hätte mich an ihn als jungen
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