Meine Seele weiß von dir
völlig Fremder ist, darauf nimmt er Rücksicht. Er muss sich wohl vorstellen, wie beklemmend und schrecklich es für mich wäre, in einem fremden Haus zu einem mir Unbekannten ins Bett zu steigen.
Obwohl ich, wie ich ehrlich zugeben muss, gar nichts dagegen einzuwenden hätte!
In meinem Innersten fühle ich ein begehrliches, schmerzhaftes Ziehen, sobald ich daran denke. Bei der Vorstellung seiner Hände auf meinem Körper, seinem Gesicht über meinem, während er sich in mir bewegt, wird meine Mundhöhle trocken und mein Puls schlägt schneller. Zumindest mein Körpergedächtnis scheint sich sehr, sehr gut an Leander zu erinnern …
Doch er berührt mich nie.
Manchmal entstehen höchst prickelnde Momente. Ausgelöst durch einen Wortwechsel , oder wenn ein Körper den anderen zufällig streift, bloße Haut auf Haut trifft, flüchtig, ganz kurz nur. Wir stehen dann still , erstarrt . Wie in einem Film, den jemand angehalten hat.
Wortlos sehen wir uns an. Wenden uns wie in Zeitlupe einander zu . Fas t könnte man glauben, wir wollten uns noch einmal berühren. Mit den Lippen, den Zungen. Die Luft um uns herum lädt sich auf, als wäre sie mit irgendeiner mächtigen Energie angefüllt . Sie kommt mir dann auch leuchtender vor. Und sie kribbelt und knistert. Ich kann es sogar hören.
Ich beobachte, wie sich der Flaum auf Leanders Haut aufrichtet, während sein Blick, den ich leider nicht zu deuten vermag, meinen festhält. Dann sind meine Gedanken wie Aufschreie: Tu‘s doch. Tu. Es. Endlich. Küss mich.
Bitte.
Aber Leander, er reißt sich los, verhält sich so, als hätte er nichts gespürt. Er wendet sich ab, ein Fremder, und redet einfach weiter. Der Zauber ist gebrochen .
Was würde geschehen, wenn ich es tun würde? Mich einfach auf die Zehenspitze n stelle, meinen Mund auf seinen lege und ihn küsse? Ach, hätte ich nur den Mut dazu!
Wenn ich nicht in seinem Büro fernsehe oder mir alte Aufzeichnungen von Leander Late Night anschaue, schalte ich im Schlafzimmer das Radio ein, setze mich in den Kleiderschrank, höre von dort seiner Sendung zu und sehne mich nach ihm.
Tagsüber schläft Leander lange. Ich selbst habe genug im Haus und im Garten zu tun, denn Frau Hischer, unsere Haushaltshilfe, wie Leander sagt, ist im Urlaub.
„Sie kommt montags, mittwochs und freitags“, hat er mir erklärt.
Der Gedanke, dass eine weitere mir Unbekannte in mein Leben tritt, stimmt mich nicht gerade heiter. Ich frage Leander, wann sie zurückkommt, und erfahre, dass dies in einer Woche der Fall sein wird.
„Im Mai nimmt sie einen Monat frei und fährt spätestens an Pfingsten zu ihrer Familie in die Lausitz. Sie ist einen Tag vor deinem Unfall abgereist.“
Damit bleibt mir noch etwas Zeit, mich auf diese Frau vorzubereiten. In der Zwischenzeit erfasse ich, wie mein bisheriges Leben aussah. Ich lerne es auswendig, pauke es mir ein, so, wie man früher in der Schule Gedichte einstudierte oder als Teenager die aktuellsten Hits zum Mitsingen: dass ich dienstags und donnerstags einkaufen gehe , und zwar bei Zoom, einem Riesensupermarkt an der Stadtgrenze, dass Leanders Lieblingsgericht Hühnchen Curry-Madras ist und meines (zu meine m Erstaunen, wegen der vielen Kalorien) Himmel und Erde.
Dass ich jeden Freitag mit einem Freund zum Joggen gehe und die dürre Frau an der Tankstelle nicht ausstehen kann. Dass ich gerne koche und aufräume, aber Fensterputzen und Bödenwischen hasse.
Außerdem bin ich gern allein. Ich unternehme lange Spaziergänge, kann nicht stricken, häkeln, nähen oder sonst irgendwelche Handarbeiten, und bedauerlicherweise kann ich auch nicht malen oder bildhauern.
Aber, erläutert Lisa mir einmal, ich kenne die Bedeutung der Blumen. Ich spreche gewissermaßen Blumisch , wie unser verstorbener Großvater, ein Hobbygärtner und hoffnungsloser Romantiker, es nannte.
Ich lese viel und leidenschaftlich gern. Psychothriller, Krimis, humorvolle Romane und seit meiner Kindheit mit Begeisterung alles, was Astrid Lindgren je geschrieben hat. Insbesondere die Bullerbü-Geschichten haben es mir angetan. Wie gerne wäre ich eines der Bullerbü-Kinder gewesen! Am liebsten Inga, behauptet meine Schwester.
Einer der Schränke ist randvoll mit Hörbüchern derselben Genres und Musik-CDs. Unter anderem von Queen, Robbie Williams, Genesis, Nickelba ck und Aerosmith.
Selbst beherrsche ich jedoch kein Instrument. Nicht einmal eine simple Blockflöte. Ich singe nur beim Kochen oder bei der Gartenarbeit. Allerdings
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