Meine Seele weiß von dir
weiter, als es unten an der Haustür Sturm läutet.
Kapitel 8
Vor der Tür steht Lisa.
Sie ist ungeduldig. Ihren Finger hat sie noch auf dem Klingelknopf, als ich ihr öffne.
„Wo bleibst du denn?“, wirft sie mir statt einer Begrüßung an den Kopf und poltert herein. „Du bist ja noch im Nachthemd!“ Sie schaut auf ihre Armbanduhr. „Meine Güte, es ist gleich zwanzig nach sieben. Beeil dich, wir haben nur noch eine knappe Stunde!“
Erst da fällt es mir wieder ein: Heute habe ich meinen ersten Termin bei der Therapeutin, Doktor Vogel. Ich habe gar nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen ist.
„Keine Sorge, ich brauche nicht lange“, sage ich. Schnell schließe ich die Haustür. „Nimm dir einen Ka...“
„Schon geschehen“, ruft Lisa aus der Küche. Sie setzt sich mit ihrer Tasse an den Esstisch. „Nun mach schon!“
Ich schließe meine Morgentoilette in Rekordzeit ab und gehe ins Schlafzimmer, um mich anzuziehen.
Ich bin enttäuscht, als ich sehe, dass Leander sich nicht in unser Ehebett gelegt, sondern sich wieder ins Gästezimmer zurückgezogen hat, dessen Tür fest verschlossen ist.
Das hatte ich nicht erwartet. Ich frage mich, wie lange das noch in dieser Art weitergehen soll.
Und warum es so ist .
Auf der Fahrt in die Stadt erzählt Lisa, dass sie mit unserer Mutter telefoniert hat, die mich gerne besuchen würde. Doch Leander meinte, man sollte mir noch eine Schonfrist gönnen, mir bloß nicht zu viel auf einmal zumuten.
„Begeistert war sie darüber nicht, aber Leander konnte sie schließlich überzeugen. Ich soll dich grüßen“ – Lisa hält mitten auf der einsamen Landstraße an. Sie schmatzt mir einen Kuss auf die Stirn – „und dir das hier geben.“
Sie drückt aufs Gaspedal und fährt weiter. „Das tut Mama dauernd, wenn sie eine von uns trösten will oder uns lange nicht gesehen hat.“ Lisa lacht. „Als wären wir nie erwachsen geworden!“
Ich klappe den Spiegel in der Sonnenblende herunter. Na toll! Während ich versuche, mit den Fingern den kirschroten Fleck wegzuwischen, den Lisas Lippenstift hinterlassen hat, überlege ich, warum Leander mir verschwiegen hat, dass er mit meiner Mutter gesprochen hat.
Der verriebene Fleck hat meine Stirn gerötet. Es sieht aus, als wäre ich zornig.
„Da wären wir!“ Lisa setzt ihren Wagen geschickt in eine der Parkbuchten vor einer Stadtvilla aus der Gründerzeit, die hinter einem Magnolienbaum thront.
Wir steigen aus und gehen ein paar Stufen zu dem überdachten Eingang hinauf. Noch bevor wir klingeln können, wird die Tür aufgerissen.
Doktor Yvonne Vogel sieht aus, als wäre sie knapp siebzig Jahre alt und die Wiedergeburt von Marg a ret Rutherford in einem Miss Marple Film.
„Guten Morgen! Meine Damen sind noch nicht da“, verkündet sie resolut. Mir dämmert, dass sie damit wohl ihre Sprechstundenhilfen meint. „Sie kommen aber jede Minute.“
Ihre wachen Augen sind freundlich und glänzend wie die Glasaugen eines Stofftieres. Dabei lächelt Doktor Vogel ein Grinsekatzelächeln.
Während Lisa sich im Warteraum niederlässt, folge ich der Therapeutin in ihr Zimmer, das der Bibliothek eines alten Herrenhauses gleicht. Die urige Atmosphäre wird noch durch einen Kachelofen untermalt, obwohl bei diesen Temperaturen natürlich kein Feuer darin brennt. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, wie er an kalten Tagen wohlige Wärme verströmt.
Ich fühle mich wie in einem Film, 16 Uhr 50 ab Paddington vielleicht, und dies ist ein Zimmer im Landhaus der Ackenthorpes.
Ein wuchtiger Schreibtisch biegt sich unter einem Wust von Papieren und Akten, von denen Doktor Vogel eine beiläufig zur Hand nimmt, bevor wir uns in die Sessel beim Kachelofen setzen.
„Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Sina-Mareen.“
Ich spüre, dass ich erröte. „Wir kennen uns?“
„Ja. Manchmal, wenn Leander Anrufer in seiner Sendung hat, von denen er glaubt, dass sie therapeutischen Beistand benötigen, verweist er sie an mich. Vorher kommt er vorbei, um mich kurz ins Bild zu setzen. Es kam vor, dass Sie ihn bei seinen Besuchen begleitet en . Allerdings haben Sie stets im Wartezimmer gewartet.“ Es folgt eine kurze Pause. „Ist das ein Problem für Sie?“
Ich schüttele den Kopf.
„Gut. Bitte nennen Sie mich Doktor Yvonne, nicht Doktor Vogel. Das ist eine Marotte von mir, wie Sie vielleicht nicht mehr wissen.“ Sie lacht beinahe dröhnend. „Und nun will ich Ihnen etwas erzählen:
Der Geruch von frisch
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