Meine Seele weiß von dir
sagt sie. „Armer Rainer Maria! Ist es nicht furchtbar, wenn man jemanden verliert, den man liebt? Es tut weh! Nicht wahr?“
Durch meine Venen scheint flüssiger Stickstoff zu fließen. Die Eiseskälte in mir bringt mich zum Zittern.
Ungerührt fährt die Stimme fort. „ I ch kann gut nachfühlen, wie es in dir aussieht. Denn so ähnlich geht es mir. Mit dir, Engel. Nur noch ein bisschen schlimmer. Schließlich bist du keine Katze. Ich wollte, dass du das weißt. Bis zum nächsten Mal.“
Ich springe auf und lösche diese hämische, widerliche Stimme. Ich will sie nicht in meinem Haus haben, ich will sie nie, nie wieder hören!
Als Nächstes verschließe ich die Terrassentür und sämtliche Fenster und riegele die Haustür ab, bevor ich die Treppen in die obere Etage hinaufhetze.
Auch hier prüfe ich alle Fenster. Erst als ich in meinem Schrank sitze, wird mein Blut nach und nach wieder wärmer. Aber in meinem Kopf herrscht eine Ahnung von Wahnsinn.
Ich bin kurz davor hineinzufallen.
In meinem Schrank habe ich nicht bemerkt, wie der Sonntag sich in einen Montag verwandelt hat. In meinem Schrank habe ich nur dagesessen, die Beine angezogen, die Arme darum geschlungen, die Stirn auf die Knie gelegt und darüber nachgegrübelt, wie geistig krank ein Mensch sein muss, der anderen Lebewesen solches Leid zufügt.
Und damit meine ich nicht nur Rainer Maria - der noch immer am Grunde des Beckens liegt, weil ich es nicht über mich bringe, den armen, kleinen Körper herauszufischen - sondern auch mich.
Plötzlich steht ein blonder Cockerspaniel vor der Schwebetür. Er linst durch den handbreiten Spalt herein. Das muss Herr Hischer sein. Er gibt kurze winselnde Töne von sich, die stetig lauter werden, bis er damit schließlich sein Frauchen anlockt. „Hischer!“, ruft sie ungnädig. „Pfui! Du böser Hund! Du weißt genau, dass du hier nichts verloren hast! Raus mit dir!“
Aber der Cocker kratzt nur weiter an der Schranktür, sodass sie sich noch ein Stück weiter öffnet. Jetzt wird Frau Hischer aufmerksam. Entgeistert kommt sie näher und geht in die Hocke. Sie registriert gleichsam alles: meine Aufgelöstheit, den Badeanzug, meine verquollenen Augen.
„Kindchen“, flüstert sie mitfühlend und ich flüstere auch. „Pool“, krächze ich heiser. „Pool.“
„Ja, ja. Sie sind in den Pool gefallen. Das war schlimm.“
Ich schüttele den Kopf, weil sie offenbar glaubt, dass ich einen Rückfall erlitten habe. Aber dann schaffe ich es irgendwie, ihr zu erzählen, was passiert ist. In kurzen abgehackten Sätzen kommt es heraus.
Frau Hischers angespanntes Gesicht wird kreidebleich. Sie befiehlt ihrem Hund, auf mich achtzugeben und stürzt davon. Ihre schrille Stimme als sie telefoniert, ist sicher im ganzen Haus zu hören, und nicht lang danach ertönt das Stakkato ihrer Schritte, als sie zur Haustür rennt und jemandem öffnet.
„Sina.“
Der Klang meines Namens.
Ich öffne den Mund um zu antworten, aber es kommt kein Ton heraus.
„Sina.“
Leanders Stimme ist ganz nah bei mir. Und dann gibt es keine Panik mehr, keine Verzweiflung, kein Grauen. Nur Leanders Arme, die sich unter meine Achseln und Kniekehlen legen. Und seine Stärke, die ich fühle, als ich seine Schultern umschlinge und mich an ihn klammere, während er mich hochhebt und zum Bett trägt, als wäre ich ein kleines Mädchen.
Die Träger des Badeanzuges haben sich tief in meine Schultern gegraben. In meinen Beinen hat sich das Blut gestaut. Als es jetzt wieder zu fließen beginnt, kribbelt es schmerzhaft. Wegen der Schwüle fühlt meine Haut sich feucht und klamm an.
Leander setzt mich behutsam auf das Bett, legt eine Decke um meine Schultern und bittet Frau Hischer, die mit riesigen und vor Sorge dunklen Augen nicht von seiner Seite weicht, mir ein Lavendelbad einzulassen – was sie auch tut.
Wieder hebt er mich hoch, wieder werde ich getragen und ich spüre den Schlag seines Herzens unter meinen Lippen, da, wo sie seinen Hals berühren, als ich mich an ihn schmiege.
Im Bad zieht Leander mich aus und hilft mir, in die Wanne zu steigen. Ich versinke in knisterndem Schaum. Erschöpft schließe ich die Augen. Leander nimmt ein Stück Honigseife und beginnt mich zu waschen.
Ein süßer Duft breitet sich aus. Er verbindet sich mit dem Lavendelaroma, und als ich mich nach vorn beuge und Leander zuerst behutsam meine Schultern, den Rücken und danach meine Arme einseift, fällt meine Anspannung allmählich von mir ab. Ich
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