Meine Seele weiß von dir
quarriges Jaulen erlöst mich von Hennings Redeschwall.
„Oh, da hat wohl einer Hunger!“ Henning geht durch das Gartentürchen und schließt es sorgsam hinter sich. „Einen Rat in Sachen Zeichnen habe ich aber doch für Sie: üben – üben – üben!“ Er lacht wieder, er lacht häufig, und ich stimme in das Gelächter ein.
Der Labrador , mittlerweile irgendwo hinten im Garten verschwunden, bellt laut. „Ben, aus!“, ruft Hennig. Doch das überschnappende Gebelle geht weiter. „Wahrscheinlich wieder ein Kaninchen.“ Henning verdreht die Augen und wendet sich ab. „Na dann: schönen Abend noch, Frau Hohwacht.“
Hastig verabschiede ich mich und überlege, ob ich schon gefestigt genug bin, um ein paar Bahnen im Pool zu schwimmen.
Allein die Tatsache, dass ich darüber nachdenke, macht mich froh. Ich fühle mich leicht und beschwingt. Beinahe wie ein Kind, das sich an einem feuchtwarmen Sommertag endlich auf den Weg ins Freibad macht: Ich sehne mich danach, durch das kühle Wasser zu pflügen und den Schweißfilm von meinem Körper zu spülen.
Das leichte Unbehagen schiebe ich entschlossen zur Seite.
Zuhause fülle ich Rainer Marias Napf, aber der Kater lässt sich nicht blicken. „Rainer Maria!“, rufe ich, und mache dieses schnalzende Geräusch, mit dem er sich anlocken lässt. „Rainer Maria!“
Er kommt nicht. Womöglich ist er eingeschnappt, weil ich ihn nicht zur gewohnten Zeit gefüttert habe. Henning Haag hat recht mit seiner Behauptung, dass Katzen eine Dienerschaft statt eines Herrn haben.
Ich ziehe einen Badeanzug an, fahre in meine Gummischlappen, nehme mir ein Handtuch und gehe in den Garten.
Der Abend ist friedlich. Im Westen geht die Sonne unter. Sie setzt die Wolken förmlich in Brand, als sie allmählich hinter den Baumkronen, die wie überdimensionale Scherenschnitte vor dem Himmel stehen, versinkt.
Das Schwimmbecken sieht aus, als wäre es mit flüssiger Bronze gefüllt; nicht so dunkel wie ein Waldsee im Winter wie bei meinem Unfall. Das beruhigt mich.
Ich lege das Handtuch auf die aufgeheizten Fliesen, ziehe die Schlappen aus und gehe zum Beckenrand. Um meine Augen vor den Reflexionen auf dem Wasser zu schützen, schließe ich halb die Lider. Ich tauche einen Zeh in das Nass, um die Temperatur zu prüfen. Es ist angenehm und ich will mich eben hineingleiten lassen, da sehe ich ihn.
Er treibt knapp unter der Wasseroberfläche. Sein Köpfchen mit dem weißen Schnurrhaar hängt ein wenig herab, als würde er von oben betrachten, was unter ihm vor sich geht. Auch die Pfoten hängen herunter, wirken beinahe natürlich und überhaupt nicht kraftlos, als wollte er gleich lospaddeln und zum Beckenrand schwimmen. Sein Schwanz liegt auf dem Wasser, leicht und schwarz, wie ein morsches Ästchen, ein Stück Treibgut.
Und jetzt beginnt sein Körper zu sinken, langsam, ganz langsam, beinahe anmutig. Perlen aus Sauerstoff lösen sich aus seinem Fell und trudeln an die Oberfläche. Er schwebt träge weiter, bis zum Grund und kommt zur Ruhe. Sein sonst samtig glänzende r Pelz umgibt ihn wie schwarzes, weiches Seegras, das sich im Wasser wiegt.
Rainer Maria ist tot.
Warmes, salziges Blut sickert in meine Mundhöhle, als ich mir auf die Lippen beiße. Ich atme mit zitternden, keuchenden Zügen, blicke in die Tiefe und beginne so heftig zu schluchzen, dass es wehtut.
Ich presse meine Fäuste gegen den Brustkorb, um die Schmerzen einzudämmen, aber es gelingt mir nicht und ich schreie, bis ich zu ersticken drohe.
Mit ganz kleinen Schritten tapse ich rückwärts, weg vom Pool. Dann drehe ich mich um und gehe, immer noch mit kleinen Schritten und leicht vornübergebeugt, ins Haus.
In der Küche schlägt mir der Geruch von Katzenfutter entgegen, der sich ausgebreitet hat. Er bringt mich zum Würgen.
Ich drehe den Wasserhahn auf und erbreche mich in die Spüle. Immer wieder krampft mein Magen, bis nur noch Gallenflüssigkeit hochkommt.
Ich halte das Gesicht in den kalten Wasserstrahl, japse nach Luft, spüle meinen Mund aus und dann trinke ich direkt aus dem Hahn. In tiefen Zügen spüle ich den Geschmack von Blut, Erbrochenem und Galle fort und trockne mir danach mit einem Küchentuch das Gesicht ab. Mit kraftlosen Knien sinke ich auf einen Stuhl und lege meinen Kopf auf die Tischplatte.
In der Diele schrillt das Telefon. Nach dem zweiten Ton springt der Anrufbeantworter an, und weil ich ihn auf Mithören gestellt habe, ist die Stimme laut und deutlich zu hören. „Hallo, Engel“,
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