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Meine Seele weiß von dir

Meine Seele weiß von dir

Titel: Meine Seele weiß von dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ludwigs
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Haares in seine Hand.
    Er schaute mir tief in die Augen. Hob mein Haar an seine Lippen. Provozierend langsam. K üsste die Spitzen. Es war eine Geste, die eindeutiger nicht sein konnte.
     
    Die Nacht. S ie war zeit meines Lebens etwas Besonderes für mich gewesen. Schon als Kind hatte ich sie geliebt. Sternenübersät. Von dunkler Schönheit. Voll unterschwelliger Stille. Geheimnisvoll. Bisweilen von silbernem Mondlicht erhellt. Sie kann das Blut anders fließen lassen – sogar die Zeit fühlt sich anders an. Sie scheint ihr stets gleiches Tempo zu verändern, vergeht unmerklicher, zäher , kaum noch messbar.
    Um einen herum ist es friedlich. Die Geschäfte haben geschlossen. Die Straßen und Wege liegen einsam und beinahe verlassen da . Die wenigen Menschen, die unterwegs sind, verblassen zu Schemen. Alle Geräusche klingen gemildert und weit weg. Niemand da, der stört.
    Nächte, in denen ich in einen klaren Himmel schaue, randvoll mit einer Sehnsucht nach irgendetwas Unbestimmtem. Wer hat die Sterne gemacht? Und warum? Was liegt dahinter, was ist da draußen? Fragen, die ich nicht beantworten kann. Und doch versuche ich es. In meiner Poesie beispielsweise. Wenn mein Stift flüsternd über die noch leeren Seiten gleitet und die Leere mit Worten füllt.
    Die Nacht macht einen sinnlicher, emotional anfälliger. Wehrloser. Besonders, wenn man müde und erschöpft ist und die Augen brennen, weil man nächtelang so gut wie keinen Schlaf gefunden hat. Man ist kaum noch man selbst.
    In solchen Nächten scheint nichts unmöglich. Einfach gar nichts. - Dies war so eine Nacht.
    Rick berührte mein Haar noch einmal mit den Lippen. „Tut mir leid“, murmelte er, ohne mich aus den Augen zu lassen. „Ich sollte das nicht tun.“
    Mir war, als stünde ich hinter mir, als wäre ich aus meinem Körper herausgetreten und würde die ganze Szene beobachten.
    Das war der Zeitpunkt, ihm zu sagen, dass er vollkommen recht hatte. Ehe er noch weiterging, womöglich zu weit, sollte ich ihm klarmachen, dass es falsch war, was er tat, dass es keine Rechtfertigung dafür gab, dass es unmoralisch war. Durch und durch verwerflich.
    Doch in diesen Sekunden fühlte es sich leider ganz und gar nicht falsch an. Sondern einfach nur tröstlich und wunderbar. Es tat gut, seine Blicke auf mich gerichtet zu spüren, das Verlangen darin zu lesen, diesen Anflug von Melancholie. Seine Stimme zu hören. Alles das erschien mir erschreckend normal. Und das war das Einzige, was ich mir in diesem Moment ersehnte: ein klitzekleines Quäntchen Normalität. Nur für diese eine Nacht, nur für diesen einen Augenblick.
    Ich hatte Gewissensbisse, war aber ehrlich genug mir einzugestehen , dass ich nicht wollte, dass er aufhörte. Im Gegenteil. Er sollte weitermachen.
    Einfach, weil er da war und weil es zwischen uns – im Gegensatz zu Leander und mir – keine Wut gab, keinen Schmerz und keine Schuld. Keine Missverständnisse.
    „Du erinnerst mich an Michaela.“ Er ließ mein Haar nicht los, sondern zog mich daran näher zu sich heran.
    „Besonders dein Haar. Es hat die gleiche Farbe wie ihres. Sie war meine erste Liebe. Wenn ich es genau nehme, war sie meine einzige wahre Liebe. Bisher.“
    „ Armer Hendrik.“ Das waren meine Hände, die sich auf seine unrasierten Wangen legten und sein Gesicht umfassten.
    „ Bedauerlicherweise konnte Sie sich nie zwischen uns entscheiden. Zwischen Claude und mir. Aber, na ja, am Ende h eiratete sie ihn und wurde Frau van Lierde .“
    Claude van Lierde , sein Studienfreund aus Brüssel.
    „Es hätte beinahe unsere Freundschaft gekostet“, fuhr er nachdenklich fort, „es hat Jahre gedauert, bis ich es zumindest akzeptierte.“
    Unsere Nasenspitzen berührten sich. Ich schloss die Augen, als wir uns küssten. Ich presste die Lider zusammen, so fest, dass eine einzelne Träne hervorperlte.
    Es war ein verzweifelter, ein ausgehungerter Kuss, ja, sogar ein grimmiger. Wir küssten einander, als müssten wir es tun, als ließe man uns gar keine andere Möglichkeit, und ich klammerte mich an Hendrik.
    Seine Bartstoppeln kratzten und waren samtig zugleich. Wie Leanders. Es war dieser fühlbare Widerspruch, der darin lag, der mir gefiel. Härte und Weichheit vereint. Rücksichtslosigkeit. Fürsorge.
    Etwas Mächtiges erwachte in mir und regte sich. Ein Begehren, das ich seit Wochen nicht mehr verspürt hatte und gerade jetzt nicht spüren sollte! Doch es reckte sich Hendrik anbiedernd und ohne Scham entgegen.
    Seine kalte Hand

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