Meine Seele weiß von dir
glitt unter meine Bluse.
Ich ließ es geschehen.
Alles.
Nur diese eine Nacht, dachte ich.
Nur diese Nacht!
*
Leander ist wie aus Marmor gemeißelt. Er rührt sich nicht. Er sagt kein Wort. Er schaut mich nicht an. Ich habe keine Ahnung, wie ich mit dem Schaden umgehen soll, den ich seiner Seele zugefügt habe. Nur aus diesem Grund rede ich unsicher weiter.
„Zuerst, als ich mich wieder erinnerte, als ich die Identität meines ... meines Liebhabers gelüftet hatte, konnte ich es selbst nicht glauben! Ich verkroch mich in meinem Schrank und wollte sterben, einfach nur sterben. Am liebsten verbrennen, wie eine Hexe auf dem Scheiterhaufen!“
Ich spreche zu viel, zu laut, zu hektisch: „H. H. – Das Begreifen war eiskalt und hart wie Polareis. Hendrik Hohwacht – Rick. Endlich erkannte ich das Bild, das die Mosaiksteinchen wiedergaben.
Die Rufnummer mit dem ausgemalten Herz, die in meinem Telefonregister steht, unter H – wie Hendrik. Wie Hohwacht.
Ich, das heißt Sina-Mareen, hatte es gehasst und abgelehnt, Namen zu verstümmeln, und sie nicht abgekürzt. Daher habe ich Rick in der Vergangenheit selbstverständlich nie Rick, sondern Hendrik genannt. Warum nur bin ich nicht eher darauf gekommen? Es ist doch vollkommen logisch!“
Ich rede weiter, ohne Punkt und Komma, und vermeide es, in Leanders Richtung zu sehen. Wie in einem Beichtstuhl komme ich mir dabei vor. Fieberhaft sprudelt es aus mir heraus: „Das Mosaik erzählte mir auch von Ricks Vergangenheit: Dass e r Kunstgeschichte in München studiert hatte, zu Kunst wechselte und danach zur Bühnengestaltung. Zusammen mit Claude van Lierde , mit dem er sich ja bis heute regelmäßig trifft.
Rick hat einmal zu mir gesagt, dass man in diesem Beruf so ziemlich alles können muss: Man sei Kostümbildner, Handwerker, Elektriker, Dramaturg und Maler. Oh ja. Auch Maler!
Und er hat mich gemalt.
Ohne Gesicht. Seinen schlafenden Engel, dessen Haar er so liebt. Den Engel, der seiner ersten, seiner einzigen Liebe gleicht. Manchmal nannte er mich bei ihrem Namen: Michaela. Deshalb sprach er mich lieber mit Engel an, wenn wir beisammen waren. Ich war sein Engel, den er kein zweites Mal verlieren wollte. Den er nicht aufhören konnte zu lieben.
Womöglich hat er auch nur aus diesem Grund Michaelas Schwester geheiratet. Weil er hoffte, Monika wäre ihr zumindest vom Wesen her ähnlich. Oder er wollte Michaela damit treffen und bestrafen. Vielleicht wollte er auch möglichst oft in ihrer Nähe sein, ohne Verdacht zu erregen. Ich kenne seine Gründe nicht.“
Sekundenlang ist es das Letzte, was ich sage. Die Ungeheuerlichkeit dessen, was sich da offenbar abgespielt hat und mir jäh deutlich wird, nimmt mir die Worte. „Im Grunde hat er sich nicht anders verhalten als ich“, kommt es dann mühsam über meine steifen Lippen.
Die Jagdstuben fallen mir ein.
„Da ist noch dieser Landgasthof, den ich nach meinem ersten Amnesietermin bei Doktor Yvonne zusammen mit Lisa besuchte. Das war an dem Tag, als ich dich zufällig mit Claudia auf dem Motorrad gesehen, dich aber nicht zweifelsfrei erkannt habe.“
Ich beobachte Leander aus den Augenwinkeln. Ein Muskel zuckt in seinem Gesicht, aber er gibt keinen Ton von sich. Also fahre ich fort, rede schneller und schneller, wie eine überhitzte Maschine, die vollkommen aus dem Takt geraten ist.
„Zu dem Gasthof gehört eine Pension, und der Kellner, der mir damals meinen Cappuccino servierte, hatte mich zu meiner Verwunderung wie einen Stammgast begrüßt. Tatsache ist, dass es da nichts groß zu wundern gibt, denn in dieser Pension hatten Rick und ich uns öfter getroffen. Deswegen erkannte mich der Kellner natürlich wieder.
Und die Pralinen! Jedes Mal, wenn Rick Claude besuchte, erinnerte er sich unweigerlich an mich und meine Schwäche dafür. Er hat die Dinger eigentlich nie für mich mitgebracht, Leander. Nur für den Engel ohne Gesicht, einer Verschmelzung aus Michaela und mir, dem Traumbild, dem er verfallen war.“
Bei dem Gedanken wird mir ganz schlecht. Ich werde nie wieder eine solche Praline essen können. Besonders nicht, wenn ich daran denke, was er mir anget ... Aber halt!“, unterbreche ich mich selbst und fahre laut fort: „Ich muss mich zwingen, nicht alles durcheinanderpurzeln zu lassen. Es ist auch so schon verwirrend genug. Ich sollte ... ich sollte der Zeitlinie meiner Erinnerungen chronologisch folgen.“
Ich fühle mich vollkommen ausgelaugt und weiß im Moment nicht weiter.
Die
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