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Meine Seele weiß von dir

Meine Seele weiß von dir

Titel: Meine Seele weiß von dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ludwigs
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nach Beendigung unserer üblichen Runde, die sich auf knapp fünfzehn Kilometer beläuft, vorschlug, noch ein paar Kilometer dranzuhängen.
    „Nee, lass mal sein!“, winkte er ab. „Ich muss gleich in die Schule, da brauche ich sämtliche Reserven.“ Er verdrehte in komischer Verzweiflung die Augen, milderte seine Bemerkung aber mit einem Grinsen ab.
    „Okay“, sagte ich. „Dann ziehe ich allein los. Mach‘s gut!“
    „Du auch. Bis dann!“
    Ich lief noch einmal los, schlug den gleichen Kurs ein, langsamer jetzt und weniger kraftvoll, und trieb mich methodisch zur Erschöpfung.
    Nach vier, fünf Kilometern bestanden meine Gedanken nur noch aus suggestiven Worten: „Los. Lauf. Weiter. Eins. Zwei. Eins. Zwei. Weiter. Lauf. Lauf.“
    Nach weiteren fünf war es, als wäre mein Hirn eine zweite Lunge. Nur ein Atmen war noch in meinem Kopf und das Hämmern meines Herzens. Sonst war alles leer.
    „Atme!“
Kein Platz für Krümel.
    „Lauf!“
Kein Platz für Leander.
    „Atme!“
Kein Platz für mich.
     
    Meiner Schwester stattete ich zwei Wochen nach der Fehlgeburt einen Besuch ab.
    Ich klingelte bei ihr. In der Diele stand ein noch nicht ausgepackter Trolley. Lisa war allein. In der Wohnung war es warm und es duftete unverkennbar nach frischgebackenem Apfelkuchen.
    Sie nahm mich in die Arme. „Es tut mir so leid.“ Lange hielt sie mich umfangen. Als ich es nicht mehr aushielt und mich von ihr löste, hängte sie meinen Mantel auf und schob mich in die Küche. Dort drückte sie mich auf einen Stuhl, schenkte uns Kaffee ein und stellte den Apfelkuchen auf den Tisch.
    „Erzähl“, forderte sie mich auf und streichelte meinen Arm. „Rede dir alles von der Seele. Das tut gut.“
    Also fing ich an und schilderte ihr diese Stunden in all ihren entsetzlichen Einzelheiten. „ Seither muss ich dauernd darüber nachdenken, ob ich möglicherweise etwas falsch gemacht habe“, schloss ich. „Etwas, das mir belanglos vorkam, aber dem Baby geschadet hat. Etwas, das ich hätte verhindern können, wenn ich es nur geahnt hätte. Vielleicht hätte ich nicht mehr mit Leander schlafen sollen. Oder so viel chinesisches Essen in mich hineinstopfen, mit all den exotischen Gewürzen.“
    „Exotische Gewürze“, schnaubte sie. „Sex! Das ist blanker Unsinn! Und das weißt du auch. Nichts hätte das, was geschehen ist, verhindern können, Sina-Mareen. Das ist schlimm, ja. Aber womöglich war mit dem Fötus nicht alles in Ordnung.“
    Sie vertrat damit die gleiche Ansicht wie Doktor Bornfeld. Mir fiel auf, dass sie es vermied, Baby , das Kleine oder Kind zu sagen, sondern das nüchternere Wort Fötus vorzog.
    „Was dir passiert ist, geschieht häufig“, fuhr sie fort. „Deine Frauenärztin hatte dich im Vorfeld ja auch ein bisschen davor gewarnt, oder nicht?“
    Sie stand auf, holte ein Messer und aus dem Kühlschrank den Sahnesiphon. Vorsichtig, weil der Kuchen noch warm war und nicht zerbrechen sollte, schnitt sie ihn an. Sie sprühte Sahne auf mein Stück und gab mir eine Gabel. „Du siehst aus, als ob du nicht regelmäßig gegessen hättest. Das ist nicht gut. Also los. Iss!“
    Für den Apfelkuchen meiner Schwester würde ich normalerweise sterben. Er ist einfach köstlich. Doch als ich die Gabel in meinen Mund schob, erschien er mir matschig und fad. Ich bekam die Bissen kaum herunter. Krampfhaft schluckend stopfte ich das Stück in mich hinein.
    Lisa aß ihren Teller leer und verputzte ein zweites Stück. Sie stand auf und ging aus dem Zimmer. Als sie zurückkam, hielt sie ein Buch in der Hand. „Hier“, sie gab es mir. „Das ist von Ava Reger. Es steht einiges drin, was dir weiterhelfen wird. Hoffe ich zumindest.“
    Von froher Erwartung jäh ins Nichts lautete der Titel. In dem Buch ging es um Fehl- und Totgeburten, um allzu frühe Verluste in der Schwangerschaft, und es versprach betroffenen Eltern Begleitung und neue Hoffnung.
    Erst als ich mich verabschiedete, fiel es meiner Schwester ein, sich nach Leander zu erkundigen.
    „Er will niemanden sehen“, log ich. „Am besten, man lässt ihn ganz in Ruhe. Sprich ihn gar nicht darauf an. Glaub mir, Elisabet. Es ist besser so.“
     
    Am Abend saß ich in unserem verwaisten Haus und vertiefte mich für Stunden in die Lektüre.
    Gott sei Dank, dass Elisabet mir dieses Buch gegeben hatte! Es schenkte mir ein kleines bisschen Hoffnung und war mir von den ersten Zeilen an eine Hilfe. Ich hatte nicht länger das Gefühl, allein dazustehen – es gab unglaublich

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