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Meine Spur löscht der Fluß

Meine Spur löscht der Fluß

Titel: Meine Spur löscht der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Othmar Franz Lang
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aus der großen Masse der Besucher hatte Ishi eine Uhr geschenkt bekommen. Er wußte nicht mehr zu sagen, wer sie ihm geschenkt hatte, er hatte das Päckchen entgegengenommen wie einen Pfirsich oder eine Traube. Erst auf seinem Zimmer hatte er gemerkt, daß in der kleinen Tüte eine Uhr war. Eine silberne Uhr mit Springdeckel und römischen Ziffern, mit filigranen Zeigern und einer geschmackvollen silbernen Kette.
    Ishi hielt die Uhr in großen Ehren. Er trug sie wie ein Weißer in der Westentasche und hatte die Kette durch ein Knopfloch der Weste gefädelt. Er hielt auf korrekte Kleidung, er verließ nie ohne Schlips das Museum, er legte immer saubere Hemden an, und er fand die Anzüge der Weißen, die ihn zunächst so eingeschnürt hatten, allmählich praktisch ihrer vielen Taschen wegen. Und er hatte nach kurzer Zeit schon gelernt, diese Taschen mit nützlichem und unnützem Zeug zu füllen wie ein weißer Mann auch.
    Nur Schuhe trug er noch immer nicht.
    Und mit der Uhr war es auch so eine Geschichte. Jedesmal, wenn er feststellte, daß sie nicht mehr tickte, zog er die Uhr wieder auf. Er hielt sie an sein Ohr und nickte befriedigt, wenn sie wieder tickte. Das Ticken war für ihn die Hauptaufgabe einer Uhr. Dieses leise Geräusch machte sein Zimmer wohnlich. Die Uhr tickte ihn in den Schlaf, wenn sie auf seinem Nachtschränkchen lag, und sie weckte ihn, wenn sie zu ticken aufgehört hatte und er sie wieder aufziehen mußte. Ishi zog seine Uhr sehr oft auf, aber nie stellte er die Zeiger. Für ihn war es nicht die Aufgabe einer Uhr, die Zeit anzuzeigen. Das Schöne, das Erhebende und Tröstende, das Feierliche und Erfreuliche an einer Uhr war, daß sie tickte.
    Die Uhr war für Ishi etwas sehr Kostbares. Aber Ishi besaß mittlerweile noch eine andere Kostbarkeit. Eine - wie es ihm schien — sehr wesentliche Erfindung, von der die Weißen seltsamerweise überhaupt kein Aufhebens machten. Er trug es gerne um den Hals, obwohl er es im Museum nie verwendete. Im Hof allerdings, wenn er allein war, benutzte er es, nicht ohne einen gewissen Schauder davor, aber auch in seinem Zimmer gebrauchte er es, wenn er sicher war, daß ihn niemand stören würde und er niemanden störte. Er ahnte nicht, wozu es der weiße Mann brauchte, nicht einmal Kroeber oder Watamany hatten ihm von der Existenz dieses kleinen blinkenden Gegenstandes berichtet. Und doch war er da und war unten im Geschäft an der Seventh Avenue zu erstehen gewesen. Es war eine Trillerpfeife, die schrille Töne von sich gab. Was Ishi wunderte, war die offensichtliche Preiswürdigkeit des Gegenstandes, aber anscheinend hatte der Händler seinen wahren und echten Wert nicht erkannt.
    Ishi hatte nun schon eine Menge Erfindungen der Weißen gesehen. Er kannte die Feuerhölzchen, das Kaleidoskop, und besonders beeindruckten ihn die Fähigkeiten des Leims in Warburtons Werkstatt. Eigentümlich, daß über diese Dinge ein Weißer nie sprach. Und Feuerhölzchen und Leim waren nun doch wirklich etwas! Im Golden Gate Park hatte er sogar an der Seite Kroebers den Start eines fliegenden Apparates beobachtet, in dem ein Mann — Harry Fowler — saß, der winkte und ganz in Leder gekleidet war. Es war Kroeber, der ihn auf die Lederkleidung des Mannes aufmerksam gemacht hatte. Und Kroeber erwartete offensichtlich Bewunderung dafür. Kroeber war leider unwissend. Nie hatte er gesehen, welch schöne Lederkleidung seine Mutter aus der Haut eines Hirsches für seine Schwester gemacht hatte.
    »Die Maschine wird über den amerikanischen Kontinent bis tief hinunter in den Süden fliegen«, hatte ihm Kroeber zu erklären versucht.
    Ishi hatte den Stolz und die Erregung aus Kroebers Worten gehört. Obwohl Kroeber keinen Bogen und Pfeil bei sich hatte, war er in einem Zustand der Spannung, wie es ein Yahi nur am Morgen der Hirschjagd war.
    Das war für Ishi nicht zu begreifen. Er verstand vor allem nicht, warum Kroeber von ihm Bewunderung wollte. Und warum er schrie und winkte, als der künstliche Vogel sich nach schier endlosem Anlauf müde vom Boden hob und unsicher und wackelnd davonflog.
    »Ist es nicht herrlich?« schrie Kroeber, er versuchte Ishi in Englisch mit Yanabrocken vermischt klarzumachen, daß er, Ishi, den Beginn eines neuen Zeitalters miterlebt habe.
    »Bei uns im Yahiland«, antwortete Ishi sinngemäß, »steigen die Vögel sicherer in die Luft, und sie fliegen höher und schneller.«
    Er tastete im gleichen Augenblick nach der Trillerpfeife, die er unter dem Schlips

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