Meine Spur löscht der Fluß
er ein Reh erlegt oder einen Lachs aus dem Wasser gestochen, da vibrierte alles in ihm, da war er aufgewühlt, denn die Furcht, knapp bevor er den Pfeil auf die Reise schickte, die doppelte Furcht, würde er treffen oder nicht — würde er töten oder nicht, die Angst vor beidem war immer wieder da.
Als das erste Reh unter seinem Schuß niederbrach, hatte er sein Zittern nicht beherrschen können, die Beine hatten ihm fast den Dienst versagt, und die Arme flatterten am Körper. Nie mehr, dachte er, nie mehr würde er töten können. Jetzt kam er mit einer braunen Papiertüte nach Hause und einer Tasche voll Silberdollars. Ob ihn seine Mutter gelobt hätte?
Er sah auf den Boden. Da hatte der Regen kleine Bach- und Flußwege durch die Unkrauthalden gewaschen. Und hier, an einem Hauptstrang hatte sich schon ein winziger Cañon gebildet, zum Teil mehr als eine Handbreit tief.
Loudy trug mit der einen Hand seine Einkaufstüte und mit der anderen fuchtelte er wild umher.
»Die Millionäre«, schimpfte er gerade, »diese stinkreichen Millionäre, die ihre Kadaver in den Villen am Meer mästen, sie sind alle Verbrecher. Ihr Geld ist Mordgeld, und ihr Besitz ist Todesbesitz. Aber ich verspreche dir, ein Wind wird sich aufmachen und als Sturm daherbrausen, und er wird hinwegfegen, woran sie ihr Herz gehängt haben. Er wird ihnen die Häuser wegblasen und die Kleider vom Leib reißen, Kutschen und Dienerschaft wird er von ihnen nehmen. Und sie werden in Lumpen dienen müssen ihrem letzten Knecht.«
Ishi nickte freundlich dazu, er verstand zwar kaum ein Wort, aber der feierliche Tonfall gefiel ihm. Ishi verstand, daß dies alles sehr wichtig und voll Würde war, und er hatte wahrscheinlich deshalb als einziger Kontakt zu Loudy, weil Loudy so asketisch lebte, als gehöre er einem der strengsten Orden an. Er schnitt sich zum Frühstück nur eine dünne Scheibe Brot vom Laib und aß sie mit einer Tasse ungezuk-kertem Tee. Die Haferflocken übergoß er zu Mittag mit heißem Wasser und fügte nur eine Spur Salz als Würze hinzu. Fleisch aß er nur an einem Tag in der Woche. Wenn ihn andere hänselten, nahm er das hin. »Gott wird sich euch merken, und er wird euch auf den Kopf Zusagen, ihr habt Völlerei getrieben und euren Geist in Fett und Süßigkeiten erstickt. In Zukunft sollt ihr Galle schlucken in alle Ewigkeit. «
Einmal hatte sich Worbinna zu Wort gemeldet. »Dein Gott, der mir alles vorhält, das Steak am Sonntag und den Würfelzucker in meiner Tasse Tee, dein Gott, der mir den Batzen Butter auf dem Brot nicht gönnt, das ist nicht mein Gott. Das ist ein kleiner, mieser Kerl wie du, dem nichts Spaß macht, nicht mal eine Frau.«
Ishi hatte sich amüsiert. Er lächelte jedem, der sprach, zu. Er ahnte nicht nur, daß sie verschiedener Meinung waren, er wußte es. Sie neckten sich. Er neckte auch gerne andere und ließ sich von seinen Freunden necken. Für ihn war es ein Schau- und Hörspiel, er studierte die Gesten der Weißen, und er gewöhnte sich an ihre Sprache. Und er gewann immer mehr das Gefühl, daß er zu ihnen gehörte und sie zu ihm. Er vermißte sie, wenn sie nicht da waren. Und er sorgte sich, wenn es von dem einen oder anderen hieß, er sei krank.
Dann ging er kopfschüttelnd davon.
Warum waren sie krank, wie so viele weiße Männer?
Für Ishi war es klar. Sie waren krank, weil ihre Zehen Hörner hatten und blind waren. Sie waren krank, weil sie ihre Füße in ihren Schuhen einsperrten, so daß diese nicht mehr die Kraft aus der Erde ziehen konnten.
Ishi hatte kein Werkzeug, um die Büchse, die er für Worbinna gekauft hatte, zu öffnen. Er ging deshalb zu Worbinna, und der öffnete ihm die Büchse. Und was war in der Büchse? Da schwammen wie kleine goldene Monde halbe Pfirsiche in ihrem süßen, sämigen Saft...
Ishi, der Letzte seines Stammes, der den Wissenschaftlern noch Wissen über seine Sprache, seine Erziehung, seine Sitten und seine Fähigkeiten vermitteln konnte, Ishi, der einzige Überlebende einer Katastrophe, die der Mensch dem Menschen beschert hatte, Ishi, der Museumsangestellte, der Assistent und Untergebene des Hausmeisters, Ishi, der Freund zweier Professoren, war innerhalb kurzer Zeit eine bekannte Persönlichkeit geworden.
Die California Motion Picture Corporation drehte einen Film über Ishi. Er zeigte Ishi, wie er mit seinem Drillholz Feuer machte, wie er mit einem scharfen Knochen und einem faustgroßen Stein eine Pfeilspitze aus Obsidian schlug, wie er einen Bogen spannte,
Weitere Kostenlose Bücher