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Meine Spur löscht der Fluß

Meine Spur löscht der Fluß

Titel: Meine Spur löscht der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Othmar Franz Lang
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Weise ihren Respekt erweisen. Ishi nahm das an und wurde von Minute zu Minute sicherer. Er zeigte den Leuten Bogen und Pfeile, die denen ähnelten, mit denen er auf die Jagd gegangen war. Er zeigte, wie man richtig zielte.
    »Ishi hat ein unwahrscheinliches Gefühl für Entfernungen«, erklärte Kroeber. »Er weiß exakt, wie er das Ziel anvisieren muß. Aus fünf bis zehn Meter Entfernung, wenn er ein Kaninchen jagt, oder aus dreißig Meter Entfernung, wenn er auf ein Reh oder einen Hirsch schießt.« 1
    Und schon kamen die Fragen der Wißbegierigen, nach der Kleidung der Yahi, ihrer Ernährung, ihren Häusern, wie sie ihre Kinder erzogen und wie sie Krankheiten überstanden und ihre Toten bestatteten.
    Ishi war nicht nur der Assistent des Hausmeisters Poyser, den dieser nur an den Reisbesen heranließ und nicht an den Gummischrubber für die Fenster, Ishi war ein vielbesuchtes lebendiges Stück Inventar im Museum.
    Er begann sich auf die Sonntage zu freuen und wurde immer unbefangener. Es gab Leute, die öfter kamen und ihm Geschenke mitbrachten.
    Als Waterman das sah, wurde er wütend. »Das erinnert mich an die Fütterung wilder Tiere im Zoo.«
    Kroeber beruhigte ihn. »Im Grunde«, sagte er, »wollen sie nur etwas gutmachen. Es ist der rührende Versuch, Ishi zu zeigen, daß es auch andere Weiße gibt.«
    Ishi war nun meist allein unter den Besuchern, er war jedoch immer dankbar, wenn er Kroeber irgendwo zwischen den Leuten entdeckte. Er reichte die Hand, wenn sie ihm gereicht wurde.
    Er hatte begonnen, sich mit dieser Geste der weißen Freundlichkeit abzufinden. Er freundete sich mit ihr aber nie so weit an, daß er je von sich aus jemandem die Hand gegeben hätte.
    Als einmal ein Chinese unter den Besuchern war, ging Ishi spontan auf ihn zu, zog mit beiden Zeigefingern seine Augen zu Schlitzaugen und sagte dem Chinesen in seiner Yahisprache: »Du bist ein Yahi.«
    Manchmal waren auch Besucher unter der großen Masse der anderen, die mit dem big chiep in einer anderen Sprache sprachen. Es waren Deutsche, mit denen Kroeber immer in seiner Muttersprache redete.
    Auch diesen Leuten brachte Ishi eine Art bevorzugter Sympathie entgegen. Sie waren zwar saltu wie alle Weißen, aber andere saltu, ganz streng genommen, andere andere.
    Die Jungen und die Alten blieben oft stundenlang im Museum, und es machte ihnen nichts aus, zum x-ten Mal erklärt und gezeigt zu bekommen, wie Ishi Pfeilspitzen aus Obsidian schlug oder wie er die Sehne des Bogens geschmeidig machte, eine Hirschsehne, die er immer wieder durch seine kräftigen Zähne zog. Bei den Jüngeren machte es Ishi auch nichts aus, wenn sie ihn zu berühren versuchten. Sie hatten gerade den >Letzten Mohikaner< gelesen oder waren dabei, ihn zu lesen, und Ishi war zwar kein Mohikaner, aber ein Letzter. Einige Mütter erzählten Kroeber, daß ihre Jungen, vom Museum nach Hause gekommen, sofort wieder ihre bereits mehrmals gelesenen Lederstrumpfbücher hervorkramten.
    Ishi lächelte dazu.
    Drängten sich die Jungen vor, so saßen die Alten irgendwo im Hintergrund und betrachteten alles mit einem Blick. Die Ausstellungsstücke, den letzten Yahi und die jungen Leute, unter denen immer auch ein paar Mädchen waren, die sich um Ishi drängten.
    Es war kein steifes Museum, sondern im Gegenteil, ein sehr gemütliches, sehr lebendiges.
    Allmählich wurden die Sonntage die Höhepunkte im Zeitablauf Ishis. Es tat ihm wohl, wenn die Leute ihn umringten und ihm Fragen stellten. Er begann zu lernen, die Gesichter der Weißen, die ihm anfangs alle gleich vorgekommen waren, zu unterscheiden. Er erkannte die Mutter mit den drei Jungen wieder, das Mädchen mit den Sommersprossen und dem kupferfarbenen Haar, die alte Frau, die ihm jedesmal irgendeine Frucht mitbrachte. Die drei Männer mit vom Tabakrauch gebräunten Zähnen, die, wenn er in den Hof des Museums hinausging, um den Bogen zu spannen und einen Pfeil abzusenden, mit hinausgingen und sich ihre Pfeifen ansteckten.
    Ishi stürzte nicht auf sie zu und lärmte gleich den Weißen bei einem Wiedersehen. Er nickte mit dem Kopf, er grüßte mit einem besonderen Blick, er lächelte, genauso, wie er nur die Augenbrauen hob, wenn ein Weißer mit der Schulter gezuckt hätte und zwei, drei Finger an die Unterlippe legte, wenn er verlegen war. Und verabschiedete sich jemand, so sagte er nur: »Du gehst?« Zog er sich aber nach seiner Sonntagsarbeit zurück, verabschiedete er sich mit den Worten: »Ihr bleibt. Ich gehe.«
    Von irgendeinem

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