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Meine Spur löscht der Fluß

Meine Spur löscht der Fluß

Titel: Meine Spur löscht der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Othmar Franz Lang
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im Garten des Museums, und er setzte den Pfeil an die Sehne und spannte den Bogen. Und der Bogen war voll Kraft, wie er selber, dann, im letzten Moment, verlieh er dem Pfeil eine Drehung, fast im gleichen Augenblick, da die Sehne nach vorn schnellte und er den Bogen in seiner Hand sich drehen ließ. Tief schlug der Pfeil mitten in den schwarzen Punkt im Pappkarton, den Ishi sich als Ziel aufgestellt hatte.
    Befriedigt atmete er auf.
    »Bravo!« rief da eine Stimme von oben. Zwei Fensterflügel flogen am Krankenhaustrakt auseinander. Dr. Saxton Pope hatte Ishi beobachtet und bat ihn nun zu warten, er käme gleich hinunter.
    Unten überschüttete er Ishi mit einer Flut von Worten. »Ich hab’ dich immer für so ‘ne Art braven Kornfresser gehalten, entschuldige. Ich wußte nicht, daß du ein Jäger bist. Nein, wie du den Bogen gespannt hast! Ein Bild für Götter. Läßt du mich mal?«
    Ishi übergab Dr. Pope, der für ihn einfach Popy hieß, den Bogen und suchte einen schönen Pfeil für ihn aus. Pope war fasziniert von dem Gerät und versuchte es zu spannen.
    »Ich habe gar nicht gedacht, daß man so viel Kraft dazu braucht«, rief er. »Mensch, da mußt du dich reinlegen. Aber keine Angst, ich lern es noch.«
    Er zog an der Sehne, so gut er konnte, aber bevor er die Sehne so weit zurückgezogen hatte, daß die Obsidianspitze beinahe den Bogen berührte, flutschte ihm der Pfeil von der Sehne und bohrte sich fünf, sechs Meter vor dem Ziel in die Erde.
    Ishi lächelte und zeigte ihm, wie das richtig gemacht wurde. Er war geduldig und führte Popy den kleinen Trick mit der Drehung immer wieder vor.
    Popy begriff, daß Ishi damit den Pfeil im Flug stabilisierte und treffsicher machte. »Du ersetzt dir praktisch damit den gezogenen Lauf einer Schußwaffe«, sagte er. Oh, Popy war in der Theorie gar nicht so schlecht. Er verstand sofort, welchen Sinn dieser Trick mit der Drehung des Pfeils und dem Nachpendeln des Bogens hatte. Aber den Sinn zu verstehen und den Trick anzuwenden, waren offensichtlich zwei Paar Schuhe.
    »Wir müssen hinaus in den Wald, am Samstag«, rief Dr. Pope. »Am Samstag hab’ ich Zeit. Du und ich, wir streifen durch den Wald, und du bringst mir das Bogenschießen bei. Ich spreche schon mit Kroeber, daß du loskommst.«
    Wie ein kleiner Junge freute sich Dr. Pope auf den Samstag. Er kam im Sportanzug mit Kniehosen und einer Schirmmütze und hatte eine dickbauchige Jägertasche umhängen, in der sich allerlei Gutes befand. Brote mit kaltem Braten belegt, Obst, Käse, aber auch zwei rohe Steaks. Vielleicht machte Ishi auf Waldläuferart Feuer an, und sie konnten das Steak über der Glut grillen.
    Auf dem Weg in den Sutro Forest erzählte Pope ununterbrochen von einem Mann, der Robin Hood hieß, einem feinen Burschen, der es den hohen Herren zeigte, vor allem mit Pfeil und Bogen. »Er war seinem König treu, weißt du? Seinem König, und er zog in den Wald mit seinen Getreuen, und sie nahmen den Reichen, was die zuviel hatten, und gaben es den Armen, die von den Reichen immer noch ärmer gemacht wurden. Wie gesagt, ein prächtiger Bursche, dieser Robin Hood.«
    Ishi fragte nicht viel. Er verstand nur, daß ein Bogenschütze, ein besonders guter Bogenschütze, mit seinem Stamm im Wald lebte, sie jagten die Tiere des Waldes und ernährten sich von den Früchten des Waldes wie die Yahi auch. Und da waren die anderen, sicher Maidu oder Weiße. Sie waren feige und dick und ließen die Armen kaltherzig hungern. Wie gesagt, Ishi verstand nicht alles, aber daß dieser Lobin Hood — Ishi sprach kein »r«, wie die Chinesen auch, und sagte statt dessen »l« — die dicken feigen Maidu immer wieder an der Nase herumführte, das begriff er.
    Auf einer Waldlichtung im Sutro Forest warf Popy sein Bündel hin. Da war ein kleiner Bach, da waren Steine, da gab es jede Menge dürres Holz. Es würde ein herrlicher Tag werden, ein Tag wie im Buch oder besser noch wie aus zwei Büchern gleichzeitig: >Robin Hood< und >Der letzte Mohikaner<. Sie aßen zuerst Brotschnitten mit kaltem Braten und tranken Tee dazu. Wunderbar, Popy riß sich die Jacke herunter, öffnete den Hemdkragen und krempelte die Ärmel hoch.
    Dann schossen sie auf einen dicken Baumstamm. Zunächst mußten sie Popys Pfeile immer wieder zwischen Farnen und Kräutern links und rechts vom Baumstamm suchen, dann streiften die Pfeile schon den Stamm. Links und rechts konnte man die Spuren in der Rinde sehen. Popy freute sich über diesen kleinen Fortschritt.

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