Meine Tochter Amy (German Edition)
es war sehr nett mit ihr. Nach ungefähr einer Stunde musste ich schließlich gehen. Wir umarmten uns zum Abschied, und als ich sie in meinen Armen hielt, spürte ich, dass sie dabei war, zu sich zu finden und wieder zu Kräften zu kommen – sie hatte sich im Haus ein Fitnessstudio eingerichtet und mit Gewichten trainiert.
“Wenn du zurück bist, gehen wir beide ins Studio und machen das Duett“, sagte sie auf dem Weg zur Tür. Wir hatten zwei Lieblingssongs, “Fly Me To The Moon“ und “Autumn Leaves“, und Amy wollte einen davon mit mir aufnehmen. “Wir werden ordentlich proben“, fügte sie hinzu.
“Das glaube ich erst, wenn ich es sehe“, lachte ich. Wir hatten dieses Gespräch über die Jahre oft geführt, aber das letzte Mal war eine Weile her. Es war schön, sie wieder so reden zu hören. Als ich wegfuhr, winkte ich aus dem Auto. Danach habe ich meine geliebte Tochter nie wieder lebend gesehen.
Freitag landete ich in New York und verbrachte einen ruhigen Abend allein. Tags darauf traf ich meinen Cousin Michael und seine Frau Alison in ihrer Wohnung in der 59. Straße – nachdem er Alison geheiratet hatte, war Michael ein paar Jahre zuvor in die USA ausgewandert. Sie hatten drei Monate alte Zwillinge, Henry und Lucy, und ich konnte es kaum erwarten, sie zu sehen. Die Kinder waren wunderbar. Henry saß auf meinem Schoß, als Michaels Vater, mein Onkel Percy, aus London anrief. Michael reichte mir den Hörer, damit ich Hallo sagen konnte. Das übliche: “Hallo Onkel, wie geht’s?“ “Hallo Mitch, wie geht’s dir? Und Amy?“ Ich antwortete ihm, ich hätte Amy vor meinem Abflug gesehen, und es gehe ihr gut.
Im selben Moment läutete mein Mobiltelefon. Auf dem Display stand “Andrew – Security“. Amy rief mich oft von Andrews Telefon an, also sagte ich zu Onkel Percy: “Ich glaube, das ist Amy“, und gab Michael den Hörer zurück. Henry saß noch auf meinem Schoß, als ich ranging.
“Hallo Liebling“, sagte ich. Es war aber nicht Amy, sondern Andrew. Ich konnte kaum verstehen, was er sagte.
Alles, was ich mitbekam, war: “Du musst heimkommen, du musst heimkommen.“
“Was? Wovon redest du?“
“Du musst nach Hause kommen“, wiederholte er.
Alles um mich herum begann zu verschwimmen. “Ist sie tot?“, fragte ich.
Und er sagte: “Ja.“
1
… UND DANN KAM AMY
Ich war von Anfang an wie vernarrt in meine Tochter, der Rest der Welt interessierte mich kaum noch. Kurz bevor Amy zur Welt kam, hatte ich meinen Job verloren – vermutlich weil ich mir für die Geburt vier Tage freinehmen wollte. Als Amy dann da war, spielte so etwas keine Rolle mehr. Obwohl ich arbeitslos war, zog ich los und kaufte eine JVC-Videokamera für fast einen Tausender. Janis war außer sich, aber das kümmerte mich nicht. Ich machte viele Stunden Filmaufnahmen von Amy und Alex; die Bänder habe ich heute noch bei mir.
Alex war großartig. Stundenlang hielt er Wache an ihrem Kinderbett. Einmal kam ich spätnachts in ihr Zimmer und fand Amy hellwach, während Alex am Boden schlief – ein toller Wächter. Ich war ein nervöser Vater und schaute oft in Amys Gitterbett, ob mit ihr alles okay war. Als sie noch ein sehr kleines Baby war, hörte ich sie einmal röcheln: „Sie atmet nicht richtig!“, schrie ich, und Janis musste mir erklären, dass alle Babys solche Geräusche machen. Ich war immer noch nicht beruhigt, also hob ich Amy hoch, und natürlich wollte sie danach nicht mehr schlafen. Aber alles in allem war sie ein braves Kind und schlief bald die Nächte durch. So fest, dass Janis sie manchmal zum Stillen wecken musste.
Badezeit für die Kinder: ein Gewirr von Armen und Beinen, und der Boden war immer tropfnass.
An ihrem ersten Geburtstag lernte Amy laufen, von da an wurde sie ein bisschen schwierig. Sie war sehr neugierig, und wenn man nicht ständig ein Auge auf sie hatte, ging sie auf Erkundungsreise. Zum Glück hatten wir Hilfe – meine Mutter, mein Stiefvater und der größte Teil meiner Familie waren fast jeden Tag da. Manchmal kam ich spät von der Arbeit, und Janis teilte mir mit, sie hätten mein Abendessen aufgegessen.
Janis war und ist eine wundervolle Mutter; Alex und Amy konnten schreiben und lesen, bevor sie zur Schule gingen, und das verdankten sie ihr. Wenn ich von der Arbeit kam, hörte ich sie oben, schlich mich rauf und stand leise vor der Tür, um sie zu betrachten. Janis las ihnen vor, die Kinder saßen eng an sie geschmiegt, mit gespanntem Blick, was wohl als
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