Meine Verfuehrung
das Leben kurz ist, warum es dann damit verbringen, in einer Bar zu bedienen? Es ist alles, woran ich heute denken kann. Wieso bin ich die Einzige in meiner Clique vom College, die nichts aus sich gemacht hat? Dabei war ich die Einzige, die wusste, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte. Jetzt sind all meine Freunde zu neuen Ufern aufgebrochen. Casey ist mit einem Banker verheiratet und hat kaum noch Zeit für mich. Darla ist in New York und arbeitet für einen Fernsehsender. Susan ist in Seattle bei einer PR -Firma. Okay, da ist Kirk, der immer noch im Burger Palace arbeitet und nicht den geringsten Antrieb erkennen lässt, irgendwas zu ändern. Wie ich.
Was ist nur aus mir geworden? Wie konnte ich mir meine Träume entgleiten lassen? Ich muss etwas tun. Ich muss das in Ordnung bringen. Ich muss mich zur Ordnung rufen. In dieser Galerie war ich so glücklich wie ewig nicht mehr. Ich kann mich schon gar nicht mehr erinnern, je so glücklich gewesen zu sein.
Heiligabend, morgens
Heute Abend arbeite ich in der Bar, eine glückliche Freiwillige. Wenn man so will, könnte man mich Grinch nennen, denn ich würde Weihnachten dieses Jahr lieber überspringen. Ich habe den Albtraum nicht noch einmal gehabt, obwohl ich das vage Gefühl einer bösen Ahnung nach wie vor nicht loswerde. Nach sorgfältiger Überlegung glaube ich, dass der Tod, den ich spüre und fürchte, der Tod meiner Kunstträume ist.
Also habe ich nachgedacht. Was führt dazu, dass die Träume eines Menschen wahr werden, während die eines anderen nicht wahr werden? Entschlossenheit. Aktivität. Begehren. Das alles habe ich früher einmal zu schätzen gewusst, und als ich heute Morgen aufgewacht bin, habe ich beschlossen, es wieder zu tun. Ich bin in das Viertel gegangen, in dem die Galerie liegt, und in jedem eleganten Restaurant vorstellig geworden, das viel Trinkgeld verspricht. Ich habe es geschafft, einen Job in einem Lokal direkt neben der Galerie zu ergattern. Dann habe ich in der Galerie angerufen und gefragt, ob das Praktikum immer noch zu vergeben sei, und das war es nicht. Es war schlimm, das zu hören, aber man sagte mir, ich könne mich für die Zukunft bewerben. Ich tat es und wünschte dabei sehnsüchtig, Mark Compton wäre da. Mein Bauch sagt mir, dass ein Wiedersehen mit ihm mein Ticket zu einem Job ist.
Jetzt, da ich beschlossen habe, mich zu bemühen, kann ich vielleicht ein unbezahltes Praktikum annehmen, in der Hoffnung, mich zu beweisen. Ich werde den neuen Kellnerjob behalten und einmal die Woche in die Galerie gehen, bis ich eine Arbeit dort bekomme, bezahlt oder unbezahlt. Ich war mutig genug, Risiken auf mich zu nehmen. Außerdem ist der neue Job besser bezahlt als mein alter. Das ist ein guter Schritt. Ich muss daran glauben.
Samstag, 25. Dezember 2010
Kino allein. Ein riesiger Eimer Popcorn. Eine Schachtel Pralinen. Eine große Limo. Bauchschmerzen. Ein blöder Film. Ich habe im Kino geweint wie ein Baby und hatte nur noch den Wunsch, ich hätte mein Schminkzeug mitgenommen, um mein Make-up wieder in Ordnung zu bringen. Anrufe bei Freunden. Ich habe ihnen erzählt, ich sei mit einem heißen Typen zusammen, den ich in der Bar kennengelernt habe. Schlafenszeit. Der neue Job beginnt morgen.
Montag, 27. Dezember 2010
Als Mark in das Restaurant geschlendert kam, war ich atemlos. Er beherrschte den ganzen Raum – hochgewachsen und köstlich männlich in einem maßgeschneiderten grauen Anzug. Alle drehten sich nach ihm um, Männer wie Frauen. Es gibt nicht viele Männer, die mir den Atem rauben, aber es gibt auch nicht viele, deren Präsenz einen ganzen Raum füllt.
Kim, die süße Hostess aus Tennessee, mit der ich mich schnell angefreundet habe, hat ihm einen Platz in meinem Bereich gegeben, und als ich an seinen Tisch ging, um seine Bestellung aufzunehmen, war ich lächerlich nervös. Ich habe nicht erwartet, dass er sich an mich erinnert. Okay, vielleicht habe ich es doch erwartet. Oder zumindest habe ich es gehofft. Ich wollte recht haben mit meiner Vermutung zu dem, was zwischen uns gewesen ist. Ich wollte, dass
er
mich für das Praktikum haben will. Ich wollte, dass er mich jetzt wieder danach fragt und es mir erspart, später in die Galerie zu gehen und selbst zu fragen – vor allem, nachdem ich ihn bedient habe.
Also ging ich auf ihn zu, und sobald ich an seinen Tisch trat, zog er eine Augenbraue hoch und fragte mich, wie ich es mir leisten könne, in diesem Restaurant zu arbeiten, aber nicht für ihn. Ich
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