Meine Wut rettet mich
man auf ihrem Körper ausgedrückt hat. Auch das schreckt Freier offenbar nicht.
Bestünde die Nachfrage nicht, gäbe es den Markt nicht. Wir kennen Männer, die Frauen nicht geholfen haben, obwohl diese sie anflehten und verrieten, dass sie gezwungen werden, – Männer, die dennoch in diesem Bordell geblieben sind und weitere Dienste beanspruchten. Solche Männer haben wir auch schon angeklagt. Doch das ist aussichtslos. Da steht dann Aussage gegen Aussage, man habe das nicht bemerken können. Außerdem gibt es kein Gesetz, das verbietet, dass Freier zu Frauen gehen, die gezwungen werden zur Prostitution.
„ Über das Beispiel Friedman habe ich wieder und wieder berichtet. Es ist empörend. ”
Aber es gibt ein prominentes Beispiel: Michel Friedman, damals Talkshowmoderator, Politiker und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. In der Öffentlichkeit wurde 2003 über seinen Kokainkonsum diskutiert und darüber, dass er seine Freundin mit Prostituierten betrogen hatte. Doch im Hauptpunkt der Affäre blieb die öffentliche Empörung aus: Ausgerechnet er besuchte ein Bordell, in dem erkennbar Zwangsprostituierte arbeiteten. Wie erklären Sie sich das?
Ich verstehe das nicht. Auch deshalb gehe ich so oft an die Öffentlichkeit. Über das Beispiel Friedman habe ich wieder und wieder berichtet, breit aufgegriffen wurde das nie. Es ist empörend. Und es ist empörend, was dieser Handel mit Frauen und Kindern anrichtet und wie wenig wirklich getan wird. Politiker reden selten drüber. Es gibt Kooperationskonzepte zwischen Polizei, Justiz und Nichtregierungsorganisationen, aber die Polizei ist personell einfach zu schwach ausgestattet. Da gibt es Verbrechen, die einfach reinkommen, Mord zum Beispiel. Dann gibt es Verbrechen, die man sich sozusagen suchen muss – Drogenhandel, Terrorismus, Islamismus –, die aber als politische Schwerpunkte vorgegeben sind. Auch bei Menschenhandel muss die Polizei selbst aktiv werden, aber dieses Verbrechen ist kein politischer Schwerpunkt.
Das Geschäft lohnt sich offenbar: Mit einer Frau kann man 20 000 Euro im Monat verdienen. Deutschland gehört zu den Ländern, in denen das Geschäft am besten läuft. Die Öffnung der Grenzen erleichtert den Tätern ihr Geschäft.
Es wird immer schwieriger, die Männer dingfest zu machen und an die Opfer heranzukommen, zum Beispiel, wenn sie abgeschoben werden. Und dann kann man die Täter nicht überführen. Wir haben 33 Menschenhandelsfälle, in denen die Polizei recherchiert hatte, aufgegriffen, alle Beweise zusammengetragen, weitergegeben an die Staatsanwaltschaft, fünfzehn Anklagen formuliert. Nur fünf kamen vor Gericht, nur ein Täter wurde mit mehr als einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Ich war so wütend, dass ich überall schimpfte, man solle nun in Deutschland sagen, Menschenhandel ist ein Verbrechen, aber wir machen nichts dagegen.
Es gab auch andere Urteile.
Ja. Da wurde der Mann zur Höchststrafe von zehn Jahren verurteilt.
Es kommt sicher jeweils auf den Fall an, doch: Gibt es Ihrer Meinung nach auch strukturelle Ungleichheiten in der Justiz?
Genau diese wollen wir öffentlich machen. Ich werde zu Richter-Schulungen eingeladen und kann dort vorbringen, was uns seltsam vorkommt. Zum Beispiel, wenn drei Frauen gegen den Täter aussagen, und zwar sehr überzeugend. Der Angeklagte ist in allen Punkten geständig, und dies wiederum begeistert dann den Richter so, dass er ihm nur zwei Jahre auf Bewährung gibt.
Sie erleben Frauen, die grauenhafte Schicksale erlitten haben. Fühlen die sich von Gott verlassen?
Im Gegenteil. In Afrika habe ich erlebt, dass viele Prostituierte sehr gläubig waren. Sie hatten ein konservatives Religionsverständnis, gingen oft in die Kirche, waren tiefgläubig. Das rührte auch aus ihrer heidnischen Glaubenstradition, ähnlich intensiv haben sie das Christliche in sich aufgesogen. Diese Frauen denken, ich bin in einer so beschissenen Situation, da kann nur Gott helfen, er lässt mich nicht im Stich. Ich war manchmal fast zu Tränen gerührt. Prostitution an sich muss man in Afrika nicht thematisieren. Wenn es einer Frau besser geht, dann ist das zu Ende. Das Problem sind fast immer die Männer.
Wie erklären Sie sich, dass im Grunde überall auf der Welt zumindest einige Männer zu einer derartig besitzergreifenden Einstellung gegenüber Frauen bereit sind – und offenbar Männer aus der westlichen Welt sogar ganz besonders?
Das fängt schon früh in der Kindheit
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