Meine Wut rettet mich
nicht moralisierend, ich helfe. Vor allem jene Kräfte, die Prostitution salonfähig machen wollen, versuchen mich mit dem Moralismus-Vorwurf kleinzureden. Oder sie stempeln mich als Männerhasserin ab.
Felicitas Weigmann, eine ehemalige Prostituierte, gewann im Jahr 2000 einen Prozess um ihre Bordell-Konzession. In der Urteilsbegründung hieß es, die Moralvorstellungen hierzulande hätten sich verändert, Prostitution könne man nicht mehr als sittenwidrig einstufen. Eine Initiative von »Sexarbeitern« verfasste für die Vereinten Nationen einen Schattenbericht 30 , weil sie sich diskriminiert fühlen. Wie sehen Sie das?
Es mag ja Frauen geben, die als Prostituierte arbeiten wollen. Die meisten, die wir kennen, erzählen jedoch ganz andere Geschichten. Es sind Frauen, die unter grauenhaften Bedingungen hergeholt werden, würdelos behandelt werden. Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere, da ist immer Abwertung im Spiel.
Seit Januar 2002 ist freiwillige Prostitution gesetzlich als legaler Beruf deklariert, Sie starteten 2008 eine Kampagne dagegen. Warum?
Das Gesetz stellt die Bordellbetreiber besser, wir wollen eine Gesetzesreform, durch die jede Einschränkung von Frauen strafrechtlich verfolgt wird. Erst als bekannt wurde, dass mittlerweile Frauen in Flatrate-Bordellen zum Sonderpreis verkauft wurden, hörte man zumindest auf unsere Positionen. Ich will eine Ethik der Entrüstung. Wie in Afrika werden bislang auch hier die Freier verschont, die all solche Angebote wahrnehmen.
„ Ich will eine Ethik der Entrüstung. ”
In Schweden wird die Nachfrage nach Prostitution unter Strafe gestellt. Begründung: Wenn in einer Gesellschaft alle gleichwertig sind, könne es nicht sein, dass die eine Hälfte sich die andere kaufen kann.
Diesen Perspektivenwechsel finde ich wichtig. Sonst ist immer die Frau im Fokus: Hat sie einen zu kurzen Rock oder war sie jung, dann heißt es, sie hat es drauf angelegt, war sie alt, heißt es, die wollte es nochmal wissen. Wird eine Frau vergewaltigt, dann besteht bei uns hier noch immer ein Generalverdacht, sie könnte das vielleicht gewollt oder herausgefordert haben.
Prostitution wird damit nicht verhindert.
Ich weiß. Es ist ähnlich wie bei Krankheiten: Wir werden sie nie los, hören aber auch nie auf, gegen sie anzukämpfen. Man schafft durch Verbote das Problem sicher nicht aus der Welt. Aber der Perspektivenwechsel trägt Früchte. In Schweden sind 80 Prozent der Menschen gegen Prostitution, in Deutschland sind 90 Prozent dafür. Eigentlich müsste ja die selbst ernannte »Krone der Schöpfung« ohnehin wissen, wie sie sich verhält, und sich fragen, warum sie solche Bedürfnisse pflegt.
Zum Schlüsselerlebnis wurde die Weltfrauenkonferenz 1985 in Kenia mit dem Motto: »Die Hälfte des Himmels, die Hälfte der Erde und die Hälfte der Macht den Frauen« und Themen, die Sie seit Langem empörten: Sextourismus, Frauenhandel, Gewalt. Ein paar Monate später gründeten Sie in Kenia die Menschenrechts- und Hilfsorganisation Solwodi. Auslöser war letztlich eine Taxifahrt auf den Philippinen, sieben Jahre zuvor.
Wir waren zu dritt, alle in Zivil, und der Taxifahrer bot dem Bischof seine Schwester ganz billig für die Nacht an. Ich habe mich seit dieser Fahrt immer mehr damit befasst, wie über die Mädchen verhandelt wird.
Wie knüpften Sie Kontakt zu den Prostituierten in Mombasa?
Ich sprach sie auf der Straße an, ging in die Bordelle.
Und Sie fanden starke Frauen, die ausgebeutet, versklavt, missbraucht wurden …
Frauen, ohne die dieser Kontinent vielleicht schon ausgestorben wäre. Die Frauen versuchen zu retten, was zu retten ist, und wenn sie noch zwei Grashalme sehen, dann flechten sie daraus ein Körbchen und verkaufen es. Männer neigen dazu zu fliehen, lassen ihre Familien zurück und suchen sich irgendwo eine andere Aufgabe.
Zwei Jahre später kam ein Problem hinzu: HIV, die ersten Aidskranken wurden auf Isolierstationen in Kliniken und Gefängnissen eingeliefert.
Maßgeblich zur Verbreitung trugen die amerikanischen Soldaten bei. Denn die Amerikaner ließen für sie überall Bordelle einrichten. Das habe ich in meinem ersten Rundbrief für Solwodi öffentlich gemacht und beschrieben.
Solwodi befasst sich mit vielerlei Gewalt gegen Frauen: mit Ehrenmorddrohungen und häuslicher Gewalt, Sextourismus, Heirats- und Menschenhandel. Zwangsprostitution ist oft erkennbar daran, dass die Frauen Verletzungen und Narben haben, beispielsweise von Zigaretten, die
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