Meine Wut rettet mich
Klingelbeutel, als für hungernde Kinder gesammelt wurde. Ich hätte ihr eine überziehen können. Hier wissen viele Leute nicht, was sie mit ihrem Geld anfangen sollen. Sie fahren nach Moskau, um Schuhe zu kaufen, und bauen sich schöne Häuser mit hohen Mauern und Wächtern davor, weil sie sich nicht mehr auf die Straße trauen. Es steckt so viel Unsinn in dieser Raffgier. Keiner hat das Recht zu glauben, ihm stehe das größte Stück der Erde zu. Ich habe mich immer ansprechen lassen, wenn Menschen in Schwierigkeiten steckten. Hier leben viele einfach so vor sich hin, das fand ich so läppisch.
Was macht den Wert von Arbeit aus?
Vor allem muss sie sinnvoll sein und etwas bewirken und für die Gemeinschaft ein Gewinn sein. Der Straßenkehrer, der eine Stadt sauber hält, macht sinnvolle Arbeit, aber auch der Maler, der ein schönes Bild malt.
Oft wird der Wert der Arbeit mit der Höhe der Gehaltsstufe gleichgesetzt.
Wenn ein Politiker nicht mehr in den Aufgaben, die er löst, den Wert seiner Arbeit sieht und ein Banker nicht mehr in der Zuverlässigkeit seiner Bank, dann ist etwas falsch. Eine Psychologin, die traumatisierte und unterprivilegierte Frauen therapiert, fand, sie könne sich nicht mehr im Spiegel anschauen, wenn sie nicht die höchstmögliche Gehaltsstufe bekommt. Das kann nicht sein! Ich kann mein Engagement nicht davon abhängig machen, ob ich gut bezahlt werde.
Lässt sich solch eine Einstellung verändern?
Warum nicht? Jeder entscheidet für sich, worin er wirklich den Wert seiner Arbeit sieht. Darüber muss man nachdenken. Wir alle sollten mehr die Gemeinschaft im Blick halten. Sechs meiner Mitarbeiterinnen verdienen mehr als ich. Das mache ich ganz bewusst. Ich teile das ja selbst zu und könnte anders verteilen. Aber ich möchte diese Rechnung nicht, bei der sich der Wert des Engagements über Geld bemisst.
Die Geschichte, wie Sie das erste Mal im Kloster ankamen, ist großes Kino: nach durchtanzter Nacht, im grüngeblümten Modellkleid, mit Stöckelschuhen und voller innerer Überzeugung. Das Kleid haben Sie behalten, bis heute. Wäre Ihnen lieber gewesen, Sie hätten Nonne in schönen Kleidern sein können?
Ich weiß nicht. Ich wollte damals einen bewussten Schnitt machen. Das Kloster ist arm. Wir hatten nur Bänke zum Sitzen und schliefen auf Strohsäcken. Erst als das Stroh teurer war als Matratzen, tauschte man es aus. Wir gingen ja alle nach Afrika. Man wollte uns bewusst nicht verwöhnen, damit wir dort zurechtkamen. Dort verdienten wir als Lehrer nur drei Viertel von dem, was dort ein Lehrer bekam. Damals, als ich eingetreten bin, wollte ich den radikalen Wechsel.
Das heißt, Sie trugen Habit und Schleier mit Begeisterung?
O ja, ich trug den Schleier mindestens 20 Jahre. Weil Papst Johannes Paul II. so auf dem Schleier rumgeritten ist, habe ich ihn abgelegt.
Erklären Sie das bitte.
Ich habe mein ganzes bisheriges Leben im Dienst und in der Nachfolge Christi eingesetzt und habe trotzdem hier in dieser Kirche nichts wirklich mitzureden, ich habe keinen Einfluss, gar nichts. Bloß weil ich »nur« eine Frau bin. Dann sollen die Herren der Kirche, die alles bestimmen, mich wenigstens anziehen lassen, was ich für richtig halte. Dass der Papst so auf dem Schleier bestand, war nur ein Zeichen dafür, dass er an allem Alten festhalten wollte.
Übertragen Sie diese Absage auf die Schleier in anderen Religionen?
Ja. Mir tut es wahnsinnig leid, dass sich in anderen Religionen selbst Frauen vehement für den Schleier einsetzen; Moslemfrauen sind dafür ein Beispiel. Ich finde das Quatsch, denn hinter dem Schleier steckt eine Ideologie der Männer.
„ Wenn Frauen mitdenken und mitüberlegen können, dann wird es eine Veränderung geben in der Kirche. ”
Wie sähe Ihr Notfallprogramm für eine rasche Vitalisierung der Kirche aus?
Erstens: Die Frauen müssen in der Kirche gleichberechtigt sein und als gleichwertig anerkannt werden. Ohne jedes Wenn und Aber. Wenn sie Theologie studiert haben, dann sollen sie auch Diakoninnen werden können und Priesterinnen. Wenn Frauen mitdenken und mitüberlegen können, wenn man sie ernst nimmt, dann wird es eine Veränderung geben in der Kirche. Zweitens: Die Kirche muss alle Laien ernst nehmen, sie einbeziehen und anerkennen, wenn sich jemand engagieren will, statt sie mehr oder weniger zu vertreiben.
PORTRÄT
Der beständige Beweger
Schnellen Schrittes kommt Notker Wolf den Gang entlang durch den Innenhof von Sant’ Anselmo in Rom. Er
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