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Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlis Prinzing
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an: Die meisten Männer werden so erzogen, dass sie stolz sind auf wechselnde Beziehungen. Das gehört beim Mann sozusagen dazu. Mein elf Jahre jüngerer Bruder hatte als junger Mann fast jede Woche eine andere Freundin. Er galt als toller Hecht. Hätte ich das mit jungen Männern gemacht, wäre ich als Schlampe angesehen worden.
    Haben Sie Verständnis für die Männer?
    Nö, sicher nicht, sie müssten sich ja nicht so verhalten. Ich bin aber auch keine, die darüber gut mit Männern reden könnte. Ich habe dann so viel Wut in mir. Ich bin auch wütend auf Frauen, wenn sie Männer aus festen Beziehungen locken. Für mich hingegen war einer tabu, wenn er sich bereits entschieden hatte. So wurden wir als Mädchen auch erzogen. Unser Bürgermeister wollte mich immer einladen zum Kaffee oder zum Essen. Ich dachte: So ein Trottel, der ist verheiratet, warum sollte ich mit dem ausgehen oder ein Gespräch anfangen. Vielleicht war ich ja ein bisschen extrem.
    „ Sexualität ist ein Gut, das uns von Gott gegeben wurde. Wir müssen lernen, damit gut umzugehen. ”
    Es bedarf offenbar der Orientierung. Doch gerade die Kirche hat ein gespanntes Verhältnis zur Sexualität. Man gewinnt den Eindruck, für sie sei Sexualität tendenziell von Übel, wenn sie nicht gerade im Dienst der Fortpflanzung steht.
    Ich denke seit vielen, vielen Jahren, die Kirche müsste mit Sexualität anders umgehen. Das habe ich auch immer gesagt, wenn ich über Prostitution gesprochen habe. Sexualität ist ein Gut, das uns von Gott gegeben wurde. Jeder trägt dieses Gut in sich. Aber es ist ein kostbares, verwundbares Gut. Wir müssen lernen, damit gut umzugehen und weder uns noch andere zu verletzen. Nicht, indem wir es verteufeln, verschweigen und als etwas Verbotenes darstellen, wie das oft im Priesterseminar getan wird.
    Wie war das in Ihrem Kloster?
    Vermutlich besser. Jedenfalls nicht so, dass dieses Thema tabu war. Eine Mitschwester war Ärztin. Sie hat mit uns über unseren Körper gesprochen und auch über die Sexualität, sie hat einfach beschrieben. Das war für die damalige Zeit sehr fortschrittlich. Ich habe viele Prostituierte angetroffen, die ihren Körper nicht kannten. Sie wussten nicht, wie Kinder entstehen.
    Sie haben ein Gelübde der Ehelosigkeit abgegeben. Was bedeutet dies?
    Ich kann nicht alles ausleben. Gerade das aber ist heute mit ein Problem: Man will alles ausleben. Das geht aber nicht, wenn man eine bestimmte Wahl getroffen hat.
    Wurden Sie im Kloster vor Ihrem Körper gewarnt?
    So habe ich das nicht empfunden, sondern als Aufklärung. In der Vorbereitung auf das Gelübde der Ehelosigkeit erklärte uns die Novizenmeisterin, wir müssen unsere Sinne beherrschen können. Sie riet, einfach die Augen zu schließen. Eine widersprach: Mit offenen Augen könne sie Gott besser preisen. Die Novizenmeisterin zog einen anderen Vergleich: Wir riechen ja auch nicht an jeder Blume. Ich hatte zwar große Achtung vor ihr. Doch diesen Vergleich fand ich so übertrieben, dass ich sofort in den Garten marschierte und an jeder Blume roch. Heute verstehe ich das Bild und finde es gar nicht so schlecht. Vor allen Dingen bin ich dankbar, dass wir über diese Themen gesprochen haben und damit nicht alleine gelassen wurden.
    Und »draußen«, in der Zeit, ehe Sie ins Kloster gingen: War da für Sie als 18-, 20-Jährige Sexualität ein Thema?
    Ich habe das nicht bewusst wahrgenommen. Für mich selbst war klar: Wenn ich heirate, dann bin ich intim. Man darf aber nicht vergessen: Das war eine andere Zeit. Die Verhütungsmöglichkeiten haben vieles verändert. Bei uns im Dorfladen erzählte eine Mutter, sie sei ganz erleichtert, dass ihre 14-Jährige jetzt die Pille nehme. Dann könne ja nichts passieren. Ich habe mich sehr gewundert, dass offenbar alles andere allen Ernstes egal sein kann, Hauptsache: nicht schwanger.
    Beschreiben Sie bitte, wie Ihre Familie Sie prägte – und Ihr Menschenbild.
    Auf meinen Vater konnte man sich absolut verlassen. Wenn er etwas gesagt hat, dann hat er es durchgezogen. Auch wenn es falsch war. Er war stur, wie ich auch. Ich habe den Leuten in meiner Wut überdeutlich die Meinung gesagt. Nachher hat mir das furchtbar leidgetan. Ich hatte dann mit mir viel größeren Kummer als die, denen ich die Meinung gesagt habe. Meine Mutter war flexibel, man konnte sie für eine Idee gut gewinnen. Sie war fromm, fürsorglich, karitativ, engagiert im Mütterbund und Frauenbund. Beide hatten einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.

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