Meine Wut rettet mich
Bildungsarbeit, Krankenpflege. Anders gesagt: Mission heißt, sich der Verantwortung zu stellen, statt sich in die Mönchszelle zurückzuziehen. Bewegung sei nötig, nicht Beharren, sagt der Abtprimas und setzt hier seine Kritik an der katholischen Kirche, vor allem in Deutschland, an. Die deutschen Bischöfe sollten dem Papst mutiger ihre Reformanliegen unterbreiten – auch wenn sie gegen geschlossene Türen anrennen: Für die Ordination von Frauen, die in Deutschland immer mehr Freunde gewinnt, gebe es in Rom (noch) keinen Rückhalt. Aber Offenheit müsse es geben, auf sie müsse man sich berufen und vor allen Dingen auf den Dialog. Den Dialog mit einem Papst, der sich durch die Wahl seines Namens selbst in die Tradition des heiligen Benedikt gestellt hat.
GESPRÄCH
»Vergebung befreit den Menschen.«
Cassian Jakobs, St. Ottilien
Herr, lass mich offen sein für jeden, der mir begegnet. Geh oder lauf mit mir und lass mich die Zeit vergessen, während wir miteinander sind. c
Notker Wolf
Rund 300.000 Flugkilometer im Jahr sind Sie als Abtprimas unterwegs für weltweit 800 Benediktiner-Klöster und 24.000 Mönche und Nonnen. Weihnachten verbringen Sie gerne in der Gemeinschaft in »Ihrem« Kloster auf Sant’ Anselmo. Wie?
Wir haben miteinander die Liturgie gefeiert, zusammen gesungen, es gab ein festliches Essen. Es war sehr schön. Für mich ist Weihnachten ein Fest der Gemeinschaft, der Glaube zeigt sich darin, dass er Gemeinschaft stiftet. Es läuft nicht so stimmungsvoll ab, wie in Deutschland üblich, aber die Art, wie wir feiern, berührt tief im Herzen.
Jede Predigt ist besonders, doch die Weihnachtspredigt gilt vielen als ganz besonders. Welches Thema haben Sie aufgegriffen?
Ich habe darüber gesprochen, dass es intellektuell eigentlich nicht fassbar ist, dass Gott Mensch wird in einem so kleinen Baby, das in allem abhängig ist von der Hilfe anderer Menschen. Das passt eigentlich gar nicht in das Gottesbild, das wir uns sonst machen. Für mich setzt der Glaube gerade bei diesen Berichten über Jesus in der Bibel an, für mich ist das glaubwürdig. Die Evangelien wollen ja nicht Chroniken sein, sondern uns das Geheimnis des Mensch gewordenen Gottes zeigen und hinweisen, dass wir in der Einheit mit diesem Mensch gewordenen Gott befreit werden: Jetzt schon im Leben. Und dann auch noch vom Tod. Weshalb Gott sich abhängig macht vom Menschen und so klein wird, kann nur verstehen, wer lieben kann. Nur die Liebe, die einfach auf den anderen Menschen so zugeht, wie es der andere Mensch braucht, macht dieses Geheimnis verstehbar. Denn gerade dieser arme, dieser demütige Gott, kann Menschen überzeugen, ihnen beistehen, sich solidarisch machen mit ihnen. Bei einem solchen Gott fühlen sich die Menschen geborgen. Wäre das so ein großer Gott auf einem kaiserlichen Thron, wie viele sich ihn vorstellten, dann würden wieder die kleinen Leute unten bleiben. Sie wären geradezu verdemütigt. So hat sich aber Gott verdemütigt und ist einer von uns allen geworden.
Wie haben Sie dies auf das Leben in der benediktinischen Konföderation übertragen?
Ich habe versucht, den Mitbrüdern zu vermitteln, dass unser Weg auch der Weg dieses Kleinwerdens ist und der Weg des Dienens. So hat Jesus gelebt, er hat alles selbst auf sich genommen. Durch die Fußwaschung, eigentlich eine Sklavenarbeit, zeigte er deutlich, dass er sich als einer sieht, der dient. Er sagte zu den Jüngern: »Bei euch soll es nicht so sein, wie bei den anderen Herrschern der Welt, die andere unterdrücken, sondern wer von euch der Größte sein will, der sei Diener, sei Sklave.« In den Weihnachtstagen kommt dieser ganz andere Gott deutlich zum Vorschein: ein dienender, hilfsbedürftiger Gott. Ganz anders als der, den wir uns intellektuell vorstellen würden. Da sehen wir einen übergroßen Gott, dem wir immer wieder klagen, wie er denn dies oder das zulassen könne. Dabei: Er hat doch selbst alles durchlitten, auch die Flucht vor Herodes nach Ägypten und die Rückkehr über Nazaret nach Jerusalem, wo er sich auch nicht sicher sein konnte. Ich sehe den christlichen Glauben von Weihnachten her: Er lebt aus der Bescheidenheit und er ist ein Versuch, den Lebensweg mit diesem Mensch gewordenen Gott zu gehen beziehungsweise in der Nachfolge.
Spielten auch aktuelle Ereignisse eine Rolle in Ihrer Predigt?
Auslöser für die Art, wie ich an die Predigt heranging, waren zwei Attentate 31 kurz vor Weihnachten in Rom, eines auf die schweizerische, das
Weitere Kostenlose Bücher