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Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlis Prinzing
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auch ein Aha-Erlebnis haben. Ich bin als Professor hier einmal mit zwei Studenten auf den Speisesaal zugegangen und die beiden öffneten mir nicht die Tür, sondern ich musste sie ihnen öffnen. Da bin ich innerlich zusammengezuckt. Und dann gleich noch einmal, als mich der Gedanke durchfuhr: »Hoppla, bist du schon so weit?!« In dem Moment wurde mir bewusst, wie wir durch bestimmte gesellschaftliche Positionen, in dem Fall, weil ich der Professor war, Gefahr laufen, fast unbewusst in ein Macht- oder ein Rangdenken zu geraten. Zum Teil werden wir auch von anderen da hineingedrängt. Sie wollen einem die Hände küssen und so weiter. Es ist möglich, dass man mit der Zeit unbeabsichtigt in eine Rang-Haltung hineinschlittert und zum Machtmenschen wird.
    Wie bewahren Sie sich vor diesem Abrutschen?
    Die eigene Reflexion ist wichtig, sie genügt aber nicht, auch nicht die Betrachtung der Heiligen Schrift. Wir brauchen außerdem auch noch andere, die einem mal den Kopf zurechtsetzen.
    Haben Sie in Ihrem Umfeld überhaupt noch Leute, die wagen, Ihnen den Kopf zu waschen?
    Ja. Ich habe sie auch indirekt, indem ich genau hinhöre, vor allem auf das, was hinter meinem Rücken gesagt wird.
    Wie hört man, was hinter dem eigenen Rücken gesprochen wird?
    Das erfordert eine besondere Art der Aufmerksamkeit. Ich kann doch aus indirekten Andeutungen ableiten, was wirklich gemeint ist. Da braucht einer gar nicht viel direkt zu sagen.
    Menschen in einflussreichen Positionen verbindet, dass ihnen kaum jemand wirklich und direkt widerspricht.
    Das ist eine Gefahr und ich bin mir dieser Gefahr bewusst. Sie vergrößert sich noch, weil die normale Reaktion auf Kritik darin besteht, in die Defensive zu gehen. Das blockt die anderen erst recht ab, und sie sagen dann nie wieder etwas. Wenn mir zum Beispiel einer vorhält: »Du hast ja immer gute Gedanken, aber die letzte Predigt hast du schlecht vorbereitet, reiß dich das nächste Mal wieder zusammen.« Dann sollte man bloß nicht abwehren und alle möglichen Gründe vorbringen – keine Zeit, mir ging es nicht gut … – sondern lieber sagen: »Du magst recht haben, ich werde mich wieder anstrengen, mehr kann ich im Moment nicht tun.«
    Es könnte noch schlimmer sein: Sie könnten selbst der Überzeugung sein, genau diese Predigt, die der andere als schludrig empfindet, sei Ihnen besonders gut gelungen, und Sie haben für diese sogar besonders viel gearbeitet.
    Genau dann schadet es erst recht nicht, diese Kritik einfach anzunehmen. Dann muss ich mir sagen, ich habe das Beste beabsichtigt, aber es kam anders an, als ich es gewollt habe, und muss mir überlegen, woran das lag. Oder den Kritiker fragen. Mir ging das einmal bei einem Artikel so. Ich schrieb ihn in der Nacht vor einer langen Reise noch fertig, war froh und erleichtert. Als ich zurückkehrte, gab mir ein Mitbruder den Text in die Hand und sagte: »Du musst das nochmals schreiben. So negativistisch, wie du hier schreibst, bist du doch gar nicht.« Ich weiß nicht mehr, wovon der Text handelte. Als er mir das sagte, war ich etwas hilflos. Denn ich dachte ja, der Text sei mir gut gelungen. Ich fragte ihn: Was wirkt so negativ, was könnte ich besser machen? Er gab mir ein paar sehr hilfreiche Tipps. Kritik ist ja kein Schlagabtausch, sondern ein Miteinander. Wer kritisiert, sollte die Kritik begründen können. Es könnte sich im Gespräch auch herausstellen, dass der Kritisierte durchaus recht hatte. Doch das ist gar nicht die Kategorie. Es geht nicht ums Rechthaben, sondern um das Gute und Richtige, um die Sachebene und nicht um die Personenebene. Wenn das allen klar ist, dann besteht auch Vertrauen. Ich habe also den Text neu geschrieben. Dann war er okay.
    Für Sie auch?
    Ganz klar. Ich habe mir überlegt: So wie das mein Mitbruder empfand, kann man den Text also auch verstehen. Obwohl ich ihn anders gemeint habe. Und da muss er ja nicht der Einzige sein. Ich habe den Text umgeschrieben, um eindeutig verständlich zu machen, was ich wirklich meinte.
    Ihre Biografin Vera Krause 32 behauptet, Sie lieben die Bühne, stehen gerne vornedran, mögen das Scheinwerferlicht.
    Das mag sein. Doch ich werde immer wieder dorthin gedrängt. Ich hatte zum Beispiel nie die Absicht, Bücher zu schreiben. Der Rowohlt-Verlag rief an, man habe von mir ein Interview gelesen in DMEuro 33 , so ein Buch bräuchte man über Deutschland 34 . Damit fing es an. Die Leute meinen dann, ich mag solche Bühnen, und vielleicht stimmt das ja, vielleicht

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