Meine Wut rettet mich
die Klostermauern von Sant’ Anselmo und von Sankt Ottilien hinaus wahrgenommen wird – gesprochen, geflötet und gerockt: In allen benediktinischen Klöstern der Welt und in der Medienlandschaft, beim Wirtschaftsforum der Kreissparkasse Ingolstadt wie beim Konzert der Rock-Päpste von »Deep Purple« im Sommer 2008 in Benediktbeuern und im Querflötenduett mit der Musikpädagogin Inka Stampfl. Im Orden nennt man ihn »hochwürdiger Herr« oder »Vater Abtprimas«, in den Medien »global prayer«, »Mönch und Mahner«, »rockender Abt«, »Managerflüsterer«. Der Vermittler zwischen Himmel und Erde schafft sich Gehör für sein »Marken-Angebot«: ein Leben nach der Regel des heiligen Benedikts von Nursia mitten in der Gegenwart, in- und außerhalb der Klöster. Seine Bücher verkaufen sich gut. Doch er will nichts verdienen. Mit dem Erlös hilft er, die Modernisierung von Sant’ Anselmo zu finanzieren.
Die Benediktiner sind dezentral und föderalistisch strukturiert: Viele Wege führen nach Rom, aber nicht alle. Sant’Anselmo hat vier Funktionen: Es ist erstens zwar keine formale Ordenszentrale, aber der Bezugspunkt für die Benediktinerklöster auf der ganzen Welt. Alle vier Jahre tagt hier der Kongress aller Benediktineräbte, der auch den Abtprimas wählt. Zweitens ist Sant’ Anselmo Sitz des obersten Benediktiners und deshalb »Primatial-Abtei«. Drittens ist Sant’ Anselmo eine Startrampe: Der Abtprimas und seine Mitarbeiter reisen von Rom aus in alle Welt: zu Versammlungen, Wahlen, Einweihungen, großen Festen oder um den interreligiösen Dialog zu führen. Und viertens ist es ein globales Bildungs- und Dienstleistungszentrum. Ursprung ist eine von Papst Innozenz XI. im Jahr 1687 zunächst nur für die italienische Kongregation gegründete Bildungsstätte für angehende Priester und Ordensleute. Die Säkularisation zwang zur Neuordnung der Klöster. 1887, unter Leo XIII., wurde Sant’ Anselmo wiedereröffnet als allen Benediktinern der Welt zugängliche Hochschule.
Die Hochschule hat Universitätsrang und Promotionsrecht. Der Abtprimas ist zugleich der Großkanzler. Vor 40 Jahren, als Notker Wolf hier erste Lehrerfahrung sammelte, war sie im Umbruch. Nun ist sie konsolidiert. 410 Studierende aus über 80 Ländern sind eingeschrieben in Philosophie, Theologie, Sprachen oder Spezialvertiefungen wie Liturgiewissenschaft oder Monastische Studien. Sie kommen aus Diözesen in aller Welt und aus unterschiedlichen Orden, jeder fünfte ist Benediktiner, jeder zehnte Laie, der Frauenanteil liegt bei 15 Prozent. Auch im 85-köpfigen Professoren-Kollegium sind – vereinzelt – Frauen. Im Kolleg wohnen 80 Studierende sowie 40 Professoren und Gäste.
Die grandiose Lage über den Dächern von Rom, auf einem Hügel mitten in der Ewigen Stadt, umgeben von Zypressen, Akazien, Oleander und Zitrusbäumen, sowie ihre Architektur machen die Kirche von Sant’ Anselmo zu einem Ort, der Hunderte Brautleute anzieht und zahllose Römer, die sonntags ihre »Passegiata delle Chiese«, ihren Spaziergang von Kirche zu Kirche, gerne hier oben vorbeiführen. Die Kehrseite für den Orden: Sant’ Anselmo steht unter speziellem Schutz der Denkmalpflege, was Modernisierungen schwierig und teuer macht. Die Gebäude gehören dem Vatikan, doch für Unterhalt, Ausstattung und Personal muss der Orden aufkommen.
Der Berg von Aufgaben, den ein Abtprimas zu bewältigen hat, ist gewaltig. Notker Wolf hält sich frisch mit Musik, geistlicher wie rockiger. Sie hilft ihm gegen Traurigkeit und Jetlag und verschafft ihm einfach einen Heidenspaß. Er liebt die Ironie, sich im Flugzeug AC/DCs »Highway to Hell« oder »Stairway to Heaven« von Led Zeppelin vorzustellen, spielt die Riffs auf seiner E-Gitarre, gerne gemeinsam mit einer Band aus Schülertagen in Sankt Ottilien: »Feedback«. Rockmusik ist ein Beispiel für den Protest der Jugend gegen alles Institutionalisierte, philosophiert er – bis sie selbst institutionalisiert ist. Er spielt an auf die im Establishment angekommenen 68er-Typen – Modell Joschka Fischer – und vergleicht: Auch das Evangelium entstand als anti-institutionelle Bewegung gegen das Etablierte; je mehr sie in eine Zeit inkulturiert wurde, desto mehr übernahm sie davon – das Egomanische, das Karrierestreben …
Notker Wolf sieht sich als unentwegt Gott-Suchender. Diese Suche hält ihn in Bewegung und bewegt ihn. Für Ottilianer verwirklicht sich der missionarische Auftrag vor allem durch Seelsorge,
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