Meine Wut rettet mich
alle Stürme hindurch ihr Ziel ansteuern, dort die katholischen Schafe, die träge, willenlos ihrem Hirten nachtrotten«. Brummer hielt entgegen: Er wolle nicht beleidigen, sondern konstruktiv kritisieren, und zwar aus seiner persönlichen Warte. Sein Buch sei eine autobiografische Äußerung, kein »interkonfessionelles Manifest«. Und er habe immer viel Respekt für die Basisarbeit in vielen katholischen Gemeinden gehabt.
Nach seiner Konversion, bekennt Brummer, sei er zunächst gegenüber seiner eigenen katholischen Herkunft versöhnlich gestimmt gewesen. Mittlerweile schärften sich seine verbalen Krallen, mit denen er jene packt, die Protestanten unterstellen, sie seien eher oberflächliche Menschen, wollten nur »Glauben light« und Kuschelatmosphäre in der Kirche. Vor allem konservative Kreise in Rom hetzten immer mehr gegen Protestanten, klagt Brummer, und sie behandeln der Ökumene aufgeschlossene deutsche Katholiken schlecht. Er sieht die römisch-katholische Kirche am Scheideweg: Rom könne entweder den reformierten Teil Europas aufgeben und sich den anderen Kontinenten zuwenden. Oder Rom erkenne, dass ein mit der Moderne in Einklang stehender Glaube nur ein reformatorischer sein kann.
Brummer fährt als Journalist wie als Christ wie als Segler am liebsten hart am Wind. Er sieht sich aber nicht als Rationalist, sondern als empfindsam, schwärmt für Bach, Barockkirchen, den 1. FC Bayern München und norditalienischen Wein. In seinen Kolumnen und Kurzgeschichten lässt er sich manchmal in die Seele blicken. »Ein Hauch von Mensch, eine Spur« ( chrismon , 1. April 2001) erzählt von einem 55-Jährigen, der plötzlich und unerwartet stirbt, und von den Spuren, die er hinterlässt. Das Verfassen dieser Geschichte habe ihn daran erinnert, dass eigentlich sein ebenfalls früh verstorbener Vater in ihm die Lust weckte am Schreiben. Hin und wieder dehnt Brummer seine Neugier auf eine Selbsterkundung aus. Obwohl er behauptete, nichts zu vermissen, was er als Katholik hatte, vielleicht aber auch gerade weil er beharrt, seine Entscheidung zu konvertieren sei richtig gewesen, besuchte er vor ein paar Monaten die heilige Messe in seinem Nachbarwohnort im Taunus. Atmosphäre, Lieder, Gebete – alles passte, er fühlte sich wohl. In der Predigt sagte der Priester: »Wir müssen wieder Ehrfurcht lernen.« In diesem Moment, bei diesem Satz, flammte in Arnd Brummer die alte Auflehnung auf. Nein, da gehörte er nicht hin: »Ich ertrage keine Theologie des Müssens, ich lasse mir nichts befehlen.«
GESPRÄCH
»Die Kirche muss sich einmischen.«
Lena Uphoff, Frankfurt a.M.
Lasset die Geister aufeinanderprallen, aber die Fäuste haltet still. e
Martin Luther
Wie würden Sie sich selbst vorstellen?
Ich bin romanisierter Kelte, von Neugier getrieben und ganz zufrieden mit meinen Fähigkeiten, die Welt und ihre Zusammenhänge zu erfassen.
Was hat Sie vor allen Dingen geprägt?
Ich kann Ihnen nicht sagen, was mich geprägt hat. Ich kann nur sagen, worauf ich nicht verzichten kann: eben auf die Neugier.
In welcher Situation haben Sie zum ersten Mal gespürt, dass Neugier Ihr Motor ist?
Ganz früh, mit wohl fünf, sechs Jahren. Ich konnte mich nie zufriedengeben, wenn mir jemand sagte: »Das ist so«, und ich wissen wollte, warum, aber nur die Antwort erhielt: »Weil das so ist.« Solche Antworten ertrage ich bis heute nicht. Als ich mit sechzehn dann Immanuel Kant las und die aufklärerische Philosophie kennenlernte, die darlegt, dass für den Menschen der Ausweg aus seiner selbstverschuldeten Knechtschaft darin besteht, dass er lernt, Autoritäten zu hinterfragen und sie nicht mehr als selbstverständlich zu akzeptieren, da hatte ich endlich das Gefühl: Ich bin nicht allein, so denken auch andere! Es gibt kluge Leute, die schon vor zweihundert Jahren fanden, man habe das Recht, nachzufragen und etwas wissen zu wollen! Man muss sich wirklich nicht zufriedengeben, wenn einen einer abspeist, man sei nicht reif oder klug oder weise genug oder noch nicht in der hierarchischen Position, um eine Meinung zu haben oder um nachfragen zu dürfen. Wenn einer so kam, war ich innerlich immer auf den Barrikaden.
Kant-Lektüre ist schwere Kost, vor allem in dem Alter.
Ja. Aber ich hatte immer wieder auch gute Gesprächspartner, mit denen ich über solche Dinge reden konnte. Zum Beispiel mit dem verstorbenen Soziologen Ralf Dahrendorf 49 , dem Vater einer Mitschülerin, und mit ähnlichen Kalibern, die man fragen konnte: »Wie
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