Meine Wut rettet mich
Theologe im Grunde an Brummers Glaubenssozialisation anknüpfte, indem er sich auf Johannes XXIII. berief, der einmal einen katholischen Pfarrer mit einem Rindvieh auf der Weide verglichen habe. Das beste Gras wachse am elektrischen Weidezaun und wer das fressen wolle, müsse ab und zu einen Schlag auf den Schädel in Kauf nehmen.
1985, kurz nach ihrer ökumenischen Trauung, zog Brummer mit seiner Frau Kerstin Klamroth nach Ulm, arbeitete aber weiterhin in Stuttgart. In Ulm fand er Kreise, in denen es sich kritisch diskutieren ließ wie einst im Elternhaus, nun über die Bücher der Theologen Dorothee Sölle und Hans Küng. Brummer erboste sich zwar immer wieder aufs Neue über die katholische Kirche, zum Beispiel wegen des Unfehlbarkeitsdogmas. Er unterwarf sich aber der in seinem Ulmer Freundeskreis herrschenden Ansicht, man dürfe nicht davonlaufen, sondern müsse von innen heraus unermüdlich für die Reform der Weltkirche kämpfen. Im Sommer 1987 zog er ins Siebengebirge, am 25. Oktober brachte Ratzingers Trauerrede ihn so auf die Palme, dass er beschloss, vom nächsten Tag an evangelisch zu sein. Die räumliche Trennung habe ihn endgültig auf Distanz gebracht, erklärt er. Am Rhein war er noch in keiner Gemeinde und in keinem neuen Freundeskreis verwurzelt. So habe nun die vor Langem begonnene innere Entfernung ihre volle Wirkung entfalten können. Ratzingers »Scheindialektik« zwischen dem Zeitgeist hinterherhechelnden Modernisierern und glaubensfesten Traditionalisten der heiligen Römischen Kirche, welche die wahre Nachfolge Jesu Christi verteidigten, gab Brummer den letzten Anstoß, dem Evangelischen in sich Raum zu geben.
Über Nacht ging das aber gar nicht, er musste schon etwas mehr Geduld aufbringen. Die rheinische Kirche ist so verfasst, dass er zunächst einmal Mitglied einer Gemeinde werden musste. Und darüber entschied nicht der Pfarrer, sondern der Gemeindevorstand. Eine Frau aus der Kirchengemeinde, der er beitreten wollte, rief ihn an, um mit ihm über seine Glaubensüberzeugungen zu reden. Er lud sie, ähnlich wie er das in Stuttgart erlebt hatte, zu sich nach Hause auf einen Wein ein, biss aber auf Granit. Er solle beim nächsten Basar einen Verkaufsstand übernehmen, zum Bibelgesprächskreis kommen und sich erst einmal anhören, was dort gesprochen wird. Ja, und das Gespräch mit ihr finde im Büro statt. Der Aufnahmeprozess zog sich über etliche Monate hin. Brummer gibt zu, dass ihm manches in diesem Verfahren sehr spröde vorkam. Doch er hatte sich in den Kopf gesetzt, nicht nur aus der katholischen Kirche auszutreten, sondern er wollte unbedingt in die evangelische hinein. Seine Leselust ebnete ihm den Weg und hielt ihn bei der Stange. Er verschlang Karl Barth, Rudolf Bultmann, Friedrich Schleiermacher und gelangte schließlich zu Martin Luther. In dessen Vorstellung vom Priestertum aller Glaubenden und in der Auffassung, Menschen seien alle sowohl Sünder wie Gerechte und allein in Gott gerechtfertigt, fühlte er sich so gut verstanden wie fünfzehn Jahre zuvor, als er zum ersten Mal Immanuel Kant gelesen hatte. Im Evangelischen, so empfand er, war seine theologische Heimat.
Am Ende öffnete ihm die Konversion eine weitere Tür. Am 1. März 1991 wurde er zunächst Vizechef, dreizehn Monate später Chefredakteur der evangelischen Wochenzeitung Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt in Hamburg. Das Blatt galt, vor allen Dingen in pietistischen Kreisen der evangelischen Kirche, als linksorientiert. Das mag auch ein Beweggrund gewesen sein, dass diese konservativen, frommen Kreise über ihren Informationsdienst »Idea« die »Personalie Brummer« als Karrieristentum brandmarkten. Hier sei einer evangelisch geworden, um einen Spitzenjob in der evangelischen Publizistik zu erlangen. Letztendlich bewirkte dieser Angriff nichts, ernüchterte den Frisch-Konvertierten aber schon: In der evangelischen Kirche mussten manche auch Jahrhunderte nach Luthers Ausführungen offenbar den Respekt vor der Glaubensüberzeugung eines Mitchristen erst noch lernen. Und bei den Evangelischen sprach man zwar Kritik aus, doch Intoleranz fand er hier ebenso vor wie in der katholischen Kirche. Auch in der eigenen Redaktion. Im Jahr 1993 sprach der amerikanische Erweckungsprediger Billy Graham zu über zehntausend Menschen in der Essener Gruga-Halle. Brummer, damals bereits Chefredakteur des Sonntagsblatts , kritisierte, dass die meisten in seiner Redaktion einen Totalverriss der Veranstaltung wollten. Als er
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