Meine Wut rettet mich
katholischen Gegenspieler, Johannes Eck 55 , und stieß auf das berühmte öffentliche Streitgespräch der beiden intellektuellen Schwergewichte. Eck warf Luther an den Kopf, dass ein Konzil seinen Freund Hus verurteilt hatte. Luther hielt dagegen: »Auch Konzilien können irren.« Das gefiel mir!
„ Luther hielt dagegen: »Auch Konzilien können irren.« Das gefiel mir! ”
Hus wurde mitsamt seinen Schriften bei lebendigem Leib verbrannt, weil er nicht widerrief. Haben solche Geschichten Sie erschreckt? Erwuchs hieraus eine Empörung über die Katholiken?
Nichts davon. Was ich da erfuhr, erstaunte mich einfach und machte mich neugierig: Wie hing das historisch zusammen? Wie war das mit der Ketzerei? Welche Menschen waren Wyclif und Hus? Was brauchte es, damit einer sich hinstellte und erklärte: »Ich kann da nicht folgen und nicht gehorsam sein, denn ich ziehe aus dem Studium der Bibel andere Schlüsse.« Mir waren diese Männer sympathisch. Mich berührte ihre Haltung, aber auch, dass sie Strafen auf sich nahmen und nicht widerriefen. Ich habe mir das alles nach und nach intellektuell erschlossen, wollte wissen, was diese Leute tatsächlich gesagt hatten, und fand heraus: Wyclif sprach den Priestern ab, Brot in den Leib Christi und Wein in sein Blut verwandeln zu können. In der Bibel gebe es keinen Hinweis, dass die Weihe einen Priester zu einer solchen Wandlung befähige. Diese Position schien mir plausibel.
Und sie war für Sie sicherlich eine Erleichterung. In Ihrem Buch »Unter Ketzern« 56 beschreiben Sie, wie Ihnen schon früh vor der Vorstellung graute, man müsse die Worte Jesu »Das ist mein Leib, mein Blut« wörtlich nehmen.
O ja. Und ich wusste ja bereits von meinen evangelischen Mitschülern, dass es möglich war, ein Abendmahl auch anders aufzufassen. Bei Wyclif fand ich nun Bestätigung.
In jener Zeit, als Sie Wyclifs Interpretation des Abendmahls entdeckten, waren Sie noch Messdiener und hörten im Gottesdienst das Gegenteil.
Das störte mich nicht. Ich dachte für mich nun einfach: Das ist ein Gedächtnismahl. In Erinnerung an das Abendmahl Christi isst und trinkt man zusammen. Was man da zu sich nimmt, ist aber nicht der Leib Christi, sondern versteht sich im übertragenen Sinne. Selbst Luther hatte das Abendmahl als Sakrament noch akzeptiert, ich hingegen war mit meiner Einstellung im Grunde bereits zum Calvinisten geworden, freilich ohne dass mir damals klar war, wie weit ich da schon vom heiligen Lehrgebäude meiner eigenen Kirche entfernt war.
Sie baten irgendwann, in den evangelischen Religionsunterricht wechseln zu dürfen. Warum?
Unser katholischer Lehrer zeigte immer nur die Anti-Drogenfilme von der Kreisbildstelle. Als ich ihm vorschlug, mal Augustinus und seine Gedanken zum Gottesstaat, »De civitate dei«, durchzunehmen, behauptete er, wir seien da noch zu blöd dazu. Der evangelische Pfarrer hingegen war begeistert und fand das interessant, weil er darin auch Hinweise auf die Zwei-Reiche-Lehre von Luther entdeckte. Meine evangelischen Mitschüler fanden allerdings die Idee, über solche Fragen zu reden, gar nicht so gut. Sie schleuderten mir ins Gesicht, ich hätte bei meinen »Weihrauch-Heinis« bleiben sollen. Aber man darf das alles nicht überbewerten. Es war eher ein Zufall, dass ein evangelischer Religionslehrer ein solches Faible hatte; wahrscheinlich war er insgesamt ein recht durchschnittlicher Lehrer. So etwas sind einfach Zufälle.
Glauben Sie wirklich an Zufälle?
Ich halte sie nicht für ausgeschlossen.
War es also auch ein Zufall, dass Sie am 25. Oktober 1987 im Kölner Dom saßen und die Predigt des Kurienkardinals Joseph Ratzinger, jetzt Papst Benedikt XVI., hörten? Denn eigentlich war das gar nicht Ihr Job.
Ich saß damals als politischer Korrespondent in Bonn und arbeitete für mehrere Zeitungen. Ein Kollege rief an und bat mich, über die Trauerfeier für Kardinal Joseph Höffner einen Bericht zu schreiben. Er habe gerade keinen Korrespondenten in Köln. Ich tat ihm den Gefallen und scherzte, er müsse mir für diesen Dienst zwei Flaschen Wein schicken. Ratzinger, der damals Vorsitzender der Glaubenskongregation in Rom war, redete gegen die Moderne und gegen die Relativierer an. Es komme auf die Glaubensgewissheiten an, welche die heilige Kirche als wahr erkannt habe, nur sie zählten, nicht diese aufklärerische Haarspalterei. So klar hatte ich das bis dahin nicht gehört. Und ich fand es unmöglich, dass mir hier einer vorschreiben wollte, was ich
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