Meineid
hatte, mit einer Aktenmappe unter dem Arm, nicht etwa mit einem Werkzeugkasten in der Hand. Er grinste verlegen. Er grinste immer verlegen, es muss ihm angeboren gewesen sein, dieses Grinsen. Den Blick wieder auf ihr Türschild gerichtet, entschuldigte er sich für die späte Störung, wirkte dabei nervös und unbeholfen und erklärte ihr seine Nöte. Greta ging mit ihm in seine Wohnung. Der Heizkörper im Bad musste entlüftet werden, das war alles. Jan staunte, wie einfach die Sache erledigt werden konnte. Greta staunte ebenfalls, hatte sie sein Anliegen doch für den plumpen Versuch gehalten, mit ihr anzubandeln, was ihr natürlich geschmeichelt hatte. Er sah gut aus, genau der Typ, auf den eine bestimmte Sorte Frau fliegt. Zu dieser Sorte gehörte Greta allerdings nicht, jedenfalls hatte sie mich das die ganzen Jahre glauben lassen. Sie hatte nie Geborgenheit gesucht, wollte nicht versorgt sein, brauchte keine abendliche Schmusestunde auf der Couch und keine Schulter zum Anlehnen. Greta war keine Emanze, sie war – guter Gott, ich weiß es nicht. Sie war mit zweiundzwanzig ein Energiebündel, das mich mitriss durch jede Vorlesung. Sie war mit ihren fünfzig Prozent italienischem Temperament ein Naturtalent in Sachen Zärtlichkeit und Leidenschaft. Sie war mit vierundzwanzig noch ein Kind, das in einen Freudentaumel geriet beim Anblick einer runden Badewanne. Sie war mit dreiunddreißig meine Frau, auch wenn es keinen Trauschein gab und niemand etwas davon erfahren durfte. Tess, das war Verliebtheit, ein Anfall von hohem Fieber. Von Zeit zu Zeit verhindert es einen Abend lang, dass man klar denkt. Ich will nicht leugnen, dass mich das Fieber gelegentlich noch ein wenig geschüttelt hatte. Wenn ich einen Abend mit Tess verbrachte, prickelte es im Magen. Das tut es immer, wenn man Achterbahn fährt. Wir hatten viele Abende miteinander verbracht. Erst ein halbes Jahr vor Jan Tinners Einzug hatten wir damit aufgehört. Tess erlitt Schiffbruch mit ihrer Affäre, wurde schwanger, erhielt einen Tritt von ihrem verheirateten Liebhaber und kämpfte darum, ihn zurückzugewinnen. Es hätte bei ihm ein falscher Eindruck entstehen können, wenn sie noch mit mir ausging. Es hätte auch bei ihren Eltern der Verdacht aufkommen können, dass ich verantwortlich zeichnete für ihren Zustand. Das wollte ich verhindern. Ich wünschte Tess von ganzem Herzen Erfolg bei ihren Bemühungen, was Greta mir nicht glaubte. Sie verstand auch nicht, dass ich mich von Tess zurückzog in einer Situation, in der ich leichtes Spiel gehabt hätte. Vielleicht hätte ich Tess tatsächlich für mich gewinnen können während ihrer Schwangerschaft. Aber man lernt mit den Jahren, die Fieberanfälle zu fürchten. Ich mochte Tess, ich liebte sie sogar in gewisser Weise und hätte eine Menge für sie getan. Aber mit ihr leben wollte ich schon lange nicht mehr. Leben wollte ich mit Greta, sie war Beständigkeit, Alltag, Gewohnheit. Es so auszudrücken klingt nicht fair, trifft es aber auf den Punkt. Wir waren seit so langer Zeit ein Paar, trotz der getrennten Wohnungen, dass ich mir gar nicht mehr vorstellen konnte, es könne sich daran noch einmal etwas ändern. Und sie verfiel diesem elenden Hund, war schon bald von Jan Tinner ebenso besessen wie von ihrem Beruf. * Es ist schwer, aus heutiger Sicht, mit dem Wissen, das ich in den letzten beiden Jahren zusammengetragen, mit den Bestätigungen, die ich in den letzten Tagen erhalten habe, alles kontinuierlich so zu schildern, wie ich es erlebte. Ich war kein Hellseher, ich war nur rasend eifersüchtig. Und wenn es zutrifft, dass Liebe blind macht, mag Eifersucht zu besonderer Scharfsichtigkeit führen. Mir fielen schon früh ein paar Besonderheiten in Jan Tinners Verhalten auf, die zur Vorsicht mahnten. Nur war es unmöglich, mit Greta offen darüber zu sprechen. Mehrfach machte Greta unmissverständlich klar, dass wir beide nur ein unverbindliches Abkommen hatten, welches von jeder Partei ohne Angabe von Gründen gekündigt werden konnte. Wenn ich mich nicht an die Spielregeln hielt, hatte ich das Nachsehen. Also schwieg ich zu Anfang, versuchte nur zu begreifen, was für eine Frau wie Greta an Jan Tinner so faszinierend war. Dass er sie allein mit seiner Statur und der zur Schau getragenen Hilflosigkeit im praktischen Bereich nicht derart beeindruckte, lag auf der Hand. Aber er hatte auch intellektuell etwas zu bieten. Er war Autor, schrieb Drehbücher fürs Fernsehen – harmlose Serien fürs
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