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Meineid

Meineid

Titel: Meineid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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mit einem niedrigen Tisch. Die Oberfläche des Tisches sah wie abgeschliffen aus. Die Sitzgarnitur verströmte einen intensiven Brandgeruch. Es gab ein paar kleine Schmorlöcher von Zigaretten in den Couchpolstern. Sie konnten nicht die Ursache sein. Ich fragte mich schon bald, warum Jan bei seinem Einkommen an diesen Dingen festhielt, ob den Möbelstücken eine für ihn angenehme Erinnerung anhaftete oder ob ihm, wie Greta vermutete, nicht viel an materiellen Werten lag. Greta sah in seiner spartanischen Einrichtung ein Zeichen von Askese. Aber auch einem Asketen musste dieser Brandgeruch in die Nase stechen. Anfangs war ich überzeugt, dass Jan mehr ihre Anwaltsseele als sonst etwas ansprach und sie das über kurz oder lang begreifen würde. Wenn ich sie bei ihm abholte oder ihn bei ihr antraf, waren sie meist mit ein paar Manuskriptseiten beschäftigt. Es war die erste Szene für seinen Roman, immer dieselbe Szene in unendlichen Variationen. Jan behauptete, nicht so recht zu wissen, wie er seine Gedanken formulieren und das, was ihm vorschwebe, ausdrücken solle. Er wollte einen Hammer für die erste Seite. Etwas, das die Leser aufwühlte, ihre Nerven peitschte. Mehrfach kam auch ich in den Genuss einer Leseprobe. Und mit meinen Nerven hatte Jan Erfolg. Es war ein widerwärtig perverses Geschmiere. Das Opfer war eine hübsche Frau, gerade neunzehn Jahre alt, als sie sich den falschen Mann für einen amüsanten Abend aussuchte. Sie wurde erwürgt, erstochen, erschlagen, auf alle nur denkbaren Arten zu Tode gebracht und vorher regelmäßig auf bestialische Weise misshandelt. Jan beschrieb das in allen Details. Mir drehte es den Magen um. Auch Greta konnte sich nicht vorstellen, dass jemand so etwas mit Freude lesen mochte. Ein paar Mal sagte sie ihm das wohl auch. Und manchmal war ihr danach, abzuwinken, wenn er mit einem neuen Entwurf vor ihrer Tür stand. Aber das sagte sie nur mir. Es wäre ihr entschieden lieber gewesen, Jan hätte einmal über sich gesprochen. Doch sobald es persönlich wurde, verschloss er sich. Sie erfuhr nichts über ihn, absolut nichts von Bedeutung. Nicht, wann, wo und mit wem er vorher gelebt hatte, wann und wo er geboren war, wer seine Eltern waren, ob sie noch lebten, ob es Geschwister gab. Nicht den allerkleinsten Ansatzpunkt lieferte er, der es erlaubt hätte, ein wenig Licht in seine Vergangenheit zu bringen. Manchmal fragte ich mich, ob es das war, was Greta so an ihm reizte. Ob sie hinter seiner Verschwiegenheit das große Geheimnis vermutete oder ob seine sexuelle Zurückhaltung sie rasend machte. Für Letzteres war ich ihm dankbar – und das nicht nur, weil ich die Konkurrenz fürchtete. Für mein Empfinden beschäftigte Jan sich entschieden zu intensiv mit den diversen Möglichkeiten, einer Frau richtig weh zu tun. Es gab für ihn kein anderes Thema als der grauenhafte Tod dieser armen Neunzehnjährigen. Und welcher einigermaßen normal empfindende Mensch mag sich denn am laufenden Band immer dieselben Scheußlichkeiten ausdenken? Wenn man als Autor sein Geld damit verdient, mag es noch angehen. Aber selbst dann müsste man bemüht sein, eine Erklärung zu liefern. Warum muss diese junge Frau auf so furchtbare Weise sterben? Wer ist ihr Mörder? Was treibt ihn an? Hat er sein Opfer zufällig gewählt oder gibt es ein persönliches Motiv? Mit den Antworten auf diese Fragen, die jeden Leser ebenso brennend interessieren mussten wie mich, hätte man etliche Seiten füllen können. Das tat Jan nicht. Und welcher einigermaßen vernünftige Mensch investiert Monate, sogar Jahre in eine Arbeit, von der er weiß, dass sie ihm niemals einen Pfennig einbringt, weil er nie über die ersten fünf oder sechs Seiten hinauskommt? Ein Künstler mag andere Maßstäbe anlegen als ein Anwalt. Aber auch einem Künstler musste daran gelegen sein, seine Arbeit voranzutreiben. Jan Tinner tat alles andere als das. Greta hielt ihn für sensibel und übte sich in Geduld. Sechs lange Monate verkniff sie sich den Hinweis, dass sie entschieden mehr für ihn tun könne, als seine widerlichen Mordszenen zu begutachten. Ich durfte sie besuchen, nur wurde ihre Wohnung zur sexfreien Zone erklärt. Die beiden Bäder grenzten aneinander. Da hätte der sensible Jan hören können, dass Greta nicht völlig enthaltsam lebte, solange er noch zögerte. Es war eine furchtbare Zeit für mich. Ich hatte ihre Offenheit immer geliebt, nun begann ich sie zu fürchten. Sie berichtete regelmäßig von ihren vermeintlichen

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