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Meineid

Meineid

Titel: Meineid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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blinde Tasten nach den Kontaktlinsen. An den ersten Blick in den Spiegel. Löwe Leo lässt grüßen. Mit vierundzwanzig habe es ihr nichts ausgemacht, wie ein in Panik geratenes Huhn mit gesträubten Federn neben mir aufzuwachen. Mit dreiunddreißig ziehe sie es vor, morgens allein zu sein, erklärte sie. Dass es tatsächlich nur das war, was sie zu einem erneuten und diesmal entschiedenen Nein zu einem verlängerten Wochenende in trauter Zweisamkeit veranlasste, bezweifle ich nicht. Da wir später ausführlich über alles gesprochen haben und ich jedes noch so winzige Detail erfuhr, weiß ich genau, was sich an dem Donnerstagabend zwischen ihr und Jan Tinner abgespielt hat. Nichts! Die erste Begegnung fand auf dem Flur vor ihrer Wohnungstür statt. Die Nachbarwohnung war seit zwei Monaten frei. Die Tür stand offen, als sie vorbeiging. Sie achtete nicht darauf. Manchmal kam der Hausmeister und inspizierte die leeren Räume. Während sie den Schlüssel einsteckte, trat Jan auf den Flur hinaus, und sie hielt ihn für einen Handwerker. Er trug ein dunkles Wollhemd und eine bequeme Kordhose. Über dem Arm hielt er eine Lederjacke. Er grüßte mit einem flüchtigen Kopfnicken, zog die Tür zu, verschloss sie und ging zum Lift. Nach drei oder vier Schritten blieb er noch einmal stehen und drehte sich zu ihr um. Er schien zu überlegen, ob er sie ansprechen sollte. Ihre Tür war inzwischen offen. Sie hätte hineingehen können. Aber sie wollte nicht unhöflich sein. Später behauptete sie immer, sie habe sich nicht auf Anhieb in Jan verliebt. Verliebt in ihn sei sie nie gewesen. Das Gefühl sei allmählich gewachsen und deshalb so tief und beständig geworden. Das glaube ich sogar. Greta war nie der Typ, der sich auf Anhieb für etwas begeisterte. Sie musste alles hundertmal durchdacht, jedes Für und Wider sorgfältig abgewägt haben, ehe sie sich entschied. Anfangs war es vermutlich sein Zögern, die Unsicherheit, die er ausstrahlte, besser gesagt das, was sie für Unsicherheit hielt. Ich nenne es Zwiespältigkeit. Aber wie auch immer, es machte sie neugierig. Sie hatte viel mit Männern zu tun, Staatsanwälte, Richter, Kollegen, selbstbewusste Männer, jeder kannte seinen Wert. Keiner hätte überlegen müssen, ob er es wagen durfte, die neue Nachbarin anzusprechen. Sie versuchte es mit einem Lächeln. Als Kind hatte sie einmal ein kleines Schild gesehen mit einem Spruch, den sie nicht vergessen konnte:
    «Ein Lächeln ist der erste Weg zwischen zwei Menschen.»
    Und es funktionierte. Jan Tinner lächelte ebenfalls, sehr flüchtig nur, aber immerhin kam er dabei langsam auf sie zu. Er reichte ihr nicht die Hand, als er sich vorstellte, schaute ihr auch nicht ins Gesicht, richtete den Blick stattdessen auf das Namensschild an ihrer Wohnungstür.
    «Doktor Greta Baresi»
    . Ihr Vater hatte ihr das Schild geschenkt, es eigens anfertigen und gravieren lassen. Er war so stolz, dass
    «unsere Greta»
    es ohne fremde Hilfe zu etwas gebracht hatte. Nichts genoss er mehr als die Augen der Nachbarn am Fenster, wenn
    «unsere Greta»
    im dreihundertfünfziger Benz vorfuhr, um in kleinbürgerlicher Enge den Sonntagskaffee zu nehmen und sich anzuschauen, was sie hinter sich gelassen hatte. Strafverteidigerin stand auf ihrem Türschild unter dem Titel und dem Namen. Papa Baresi hoffte, dass sie sich irgendwann einen großen Namen machte mit einem spektakulären Mordprozess. Sie hoffte ebenfalls, obwohl sie mir häufig erklärte, Morde und Mörder seien für sie etwas Bizarres, Unheimliches. Sie sei nicht sicher, ob sie sich damit auseinander setzen könne. Jan Tinner hat ihr beigebracht, sich damit auseinander zu setzen, sehr gründlich sogar. Ich weiß nicht, worüber sie bei der ersten Begegnung im Hausflur sprachen. Es waren wohl nur ein paar Floskeln. Aber er beeindruckte sie vom ersten Augenblick an. Die halbe Welt lief mit wund gescheuerten Nasen herum. Und er wirkte so gesund, so kraftstrotzend, als könne ihn nichts und niemand aus der Bahn werfen. Bis zum Sonntag sah und hörte sie nichts mehr von ihm. Sonntags kam er dann, kurz nach elf in der Nacht. Er muss ihr förmlich aufgelauert haben. Sie hatte den Nachmittag bei ihren Eltern und den Abend bei mir verbracht. Und kaum hatte sie ihre Wohnungstür hinter sich geschlossen, klopfte er auch schon. Er hatte ein kleines Problem mit der Heizung, sein Bad wurde nicht richtig warm. Und statt den Hausmeister um Hilfe zu bitten, fragte Jan eine Frau, die er erst einmal gesehen

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