Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
also einzig deshalb nach Saint-Malo gekommen, um Dir den Brief abzuluchsen?
– Nur deshalb, statt sich einfach der Botschaft an mich zu entledigen, mit der er beauftragt war. Dieser Ben Omar ist ja der vorher angemeldete und seit zwanzig Jahren erwartete Bote Kamylk-Paschas.
– Aha, die Geschichte ist also ernsthaft!« konnte Gildas Tregomain zu bemerken nicht unterlassen.
Das brachte ihm aber von Pierre-Servan-Malo nicht nur einen schrecklichen Seitenblick ein, sondern dieser belegte ihn auch mit so nichtswürdigen Schmeichelnamen, daß das gute Männchen sich gesenkten Auges umdrehte und über seinem rundlichen Leibe verlegen die Hände faltete.
Jetzt war Meister Antifer’s Toilette beendigt und er griff eben nach dem Hute, als die Zimmerthür von neuem aufging und Nanon sichtbar wurde.
Das war das Testament Kamylk-Paschas. (S. 93.)
»Was giebt’s denn schon wieder? fragte ihr Bruder.
– O, da unten ist ein Fremder… der Dich zu sprechen wünscht.
– Sein Name?
– Hier ist er.«
Nanon überreichte ihm eine Karte mit der Aufschrift
: »
Ben Omar, Notar in Alexandria.«
»Das ist er! fuhr es Meister Antifer heraus.
– Wer denn? fragte Gildas Tregomain.
– Nun. der erwähnte Omar…. Ah, das ist mir noch lieber! Sein Wiederkommen ist ein gutes Vorzeichen. Laß ihn herauskommen, Nanon!
– Er ist aber nicht allein….
– Nicht allein?… rief Meister Antifer verblüfft. Wer kommt denn mit ihm?
– Ein noch jüngerer Herr… den ich nicht kenne und der auch ein Fremder zu sein scheint.
– Es sind ihrer also zwei?… Na gut, wir sind auch zwei, um sie zu empfangen. Bleib’ mit hier, Kapitän!
– Wie?… Du wolltest?…«
Eine befehlerische Geste nagelte den Nachbar auf seinen Platz, eine andre bedeutete Nanon, die Herren herauskommen zu lassen.
In der nächsten Minute befanden sich diese im Zimmer, dessen Thüre sorgfältig geschlossen wurde. Wenn die hier zu entschleiernden Geheimnisse nach außen drangen, so konnten sie nur durch das Schlüsselloch schlüpfen.
»Ah, Sie sind es, Herr Omar? begann Meister Antifer sorglos und etwas hochmüthigen Tones, den er gewiß nicht angeschlagen hätte, wenn er die Verhandlungen im Hôtel de l’Union hätte wieder anknüpfen müssen.
– Ich bin es, Herr Antifer.
– Und Ihr Begleiter?
– Das ist mein erster Bureaugehilfe.«
Meister Antifer und Saouk, der jetzt unter dem Namen Nazim vorgestellt wurde, wechselten miteinander einen nichtssagenden Blick.
»Ihr Schreiber ist von allem unterrichtet?
– Vollständig, und ich kann ihn bei dieser Angelegenheit nicht entbehren.
– Wie Sie denken, Herr Omar. – Wollen Sie mir nur gefälligst sagen, was mir die Ehre Ihres Besuches verschafft?
– Ich möchte mich mit Ihnen noch einmal aussprechen, Herr Antifer… mit Ihnen allein, setzte er mit einem Seitenblick auf Gildas Tregomain hinzu. dessen Daumen sich jetzt wie ein Mühlrad um einander drehten.
– Gildas Tregomain, mein Freund, antwortete Meister Antifer, Ex-Kapitän der »Charmante Amélie«, der ebenfalls in die Sache eingeweiht und dessen Unterstützung mir ebenso nothwendig ist, wie Ihnen die Ihres Schreibers Nazim….«
Ben Omar konnte gegen dieses Ausspielen Gildas Tregomain’s gegen Saouk nicht wohl etwas einwenden.
Alle vier setzten sich nun um den Tisch, auf den der Notar seine Schreibmappe niederlegte. Dann ward es still im Zimmer, weil jeder wartete, daß ein andrer das erste Wort sprechen sollte.
Meister Antifer brach endlich das Schweigen, indem er sich an Ben Omar wandte.
»Ihrem Schreiber ist unsre Landessprache doch geläufig, nicht wahr?
– Nein, antwortete der Notar.
– Er versteht sie aber wenigstens?
– Leider auch nicht.«
Das war zwischen Saouk und Ben Omar verabredet worden in der Hoffnung, der Malouin, der dann nicht zu fürchten brauchte, von dem falschen Nazim verstanden zu werden, würde vielleicht ein Wort fallen lassen, aus dem man seinen Vortheil ziehen könnte.
»Nun zur Sache, Herr Ben Omar, sagte Meister Antifer nachlässig. Beabsichtigen Sie, unser gestriges Gespräch an dem Punkte wieder aufzunehmen, wo wir es abbrachen?
– Gewiß.
– So bringen Sie mir also die fünfzig Millionen?…
– Scherzen Sie nicht, mein Herr!
– Ja, seien wir ernsthaft, Herr Ben Omar. Mein Freund Tregomain gehört nicht zu den Leuten, die ihre Zeit gern mit unnützen Späßen vertrödeln. Nicht wahr, Tregomain?«
Nie in seinem Leben hatte der Frachtschiffer ernsthafter ausgesehen und niemals eine
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