Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
würdigere Haltung bewahrt als jetzt, wo er den Gesichtserker in die Falten seiner Flagge – seines Taschentuches, wollten wir sagen – wickelte und diesem wahrhafte Generalbaßtöne entlockte.
»Herr Ben Omar, fuhr Meister Antifer mit einer, bei ihm ganz ungewohnten trocknen Stimme fort, ich glaube, zwischen uns herrscht ein Mißverständniß, das wohl aufgeklärt werden muß, wenn wir zu erwünschtem Ziele kommen wollen. Sie wissen, wer ich bin, und ich weiß, wer Sie sind.
– Ein Notar….
– Ja, ja, ein Notar, und überdies ein Abgesandter Kamylk-Paschas, auf dessen Eintreffen meine Familie bereits seit zwanzig Jahren wartete.
– Sie werden entschuldigen, Herr Antifer; ich glaube Ihnen gern, mir war’s aber unmöglich, eher zu kommen….
– Und warum das?
– Weil ich es erst seit der vor vierzehn Tagen erfolgten Eröffnung des Testamentes selbst weiß, unter welchen Verhältnissen Ihr Herr Vater jenen Brief erhielt.
– Ah, den Brief mit dem Doppel-
K
?… Auf den kommen wir wohl zurück, Herr Omar?
– Gewiß, es war ja bei meiner Reise nach Saint-der einzige Zweck, von seinem Inhalt Kenntniß zu erhalten.
– Nur deshalb hätten Sie die weite Fahrt unternommen?
– Einzig deshalb!«
Während dieses Frage-und Antwortspiels verhielt sich Saouk ganz theilnahmlos und gab sich das Aussehen, als verstehe er davon keine Silbe. Er spielte seine Rolle so ausgezeichnet, daß Gildas Tregomain, der ihn immer von unten ansah, nichts verdächtiges an dem Manne entdecken konnte.
»Nun, Herr Ben Omar, fuhr Pierre-Servan-Malo fort, ich hege vor Ihnen die größte Hochachtung, und Sie wissen, ich würde mir gegen Sie nie ein unpassendes Wort erlauben…«
Das versicherte er mit überzeugendem Nachdruck, er, der den Mann erst den Tag vorher mit Spitzbube, Schelm, Mumie, Krokodil, u.s.w. tractiert hatte.
»Ich kann mich indeß nicht enthalten, Ihnen zu sagen, daß Sie soeben gelogen haben.
– Mein Herr…
– Ja, gelogen, wie ein Schiffsbottler, wenn Sie behaupten, Ihre Reise nur unternommen zu haben, um den Inhalt meines Briefes kennen zu lernen.
– Ich schwör’s Ihnen zu! versicherte der Notar, der schon die Hand aufhob.
– Was da! Die Kneipzange herunter, alter Omar, rief Meister Antifer, der trotz seiner besten Vorsätze schon wieder in die Wolle kam. Ich weiß sehr gut, warum Sie hierhergekommen sind….
– Glauben Sie mir…
– Und auch in wessen Auftrage…
– Kein Mensch… ich versichre Ihnen…
– Immerhin im Auftrage des seligen Kamylk-Pascha…
– Der schon zehn Jahre lang todt ist!
– Thut nichts! In Ausführung seines letzten Willens befinden Sie sich heute bei Pierre-Servan-Malo, dem Sohne Thomas Antifer’s, und Ihr Auftrag geht nicht dahin, von ihm die Auslieferung des betreffenden Briefes zu verlangen, sondern ihm gewisse Ziffern mitzutheilen….
– Gewisse Ziffern?…
– Jawohl… die ziffermäßige Angabe einer Länge, deren es bedarf, um die Breite zu vervollständigen, die Kamylk-Pascha vor einigen zwanzig Jahren meinem Vater brieflich mittheilte!
– Gut heimgeleuchtet!« sagte Gildas Tregomain befriedigt und schwenkte dazu sein Taschentuch, als ob er einem Semaphor am Strande Signale gäbe.
Der angebliche Schreiber verhielt sich noch immer ganz theilnahmlos, obwohl er jetzt wissen mußte, daß Meister Antifer über die Sachlage vollständig unterrichtet war.
»Sie, mein Herr Ben Omar, sind es, der die Rollen vertauscht hat und nun versucht, mir meine Breite zu stehlen…
– Stehlen!…
– Gewiß!… Zu stehlen!… Und offenbar von ihr, die mein ausschließliches Eigenthum ist, zu eignem Vortheil Gebrauch zu machen!
– Herr Antifer, erwiderte Ben Omar ganz außer Fassung, glauben Sie doch meinem Worte: sobald Sie mir jenen Brief auslieferten, hätte ich Ihnen die Ziffern mitgetheilt…
– Aha, Sie gestehen damit also, sie zu besitzen?…«
Der Notar fühlte sich an die Mauer gedrückt. Sonst kaum jemals um Ausflüchte in Verlegenheit, mußte er sich doch gestehen, daß sein Gegner zu schlagfertig war und es das beste sei, so weit klein beizugeben, wie es zwischen ihm und Saouk verabredet worden war. Als Meister Antifer also fortfuhr:
»Also, offne Karten, Herr Ben Omar! Hin und her gekreuzt ist nun genug, wir wollen endlich vor Anker gehen!… Da antwortete er:
– Gut… es sei!«
Er öffnete damit sein Portefeuille und entnahm diesem ein mit großen Schriftzügen bedecktes Blatt Pergament.
Das war das in französischer Sprache abgefaßte
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