Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
seit zehn Jahren müßt’ ich im Besitz meines Eigenthums sein….
– Vorausgesetzt, daß Kamylk-Pascha Sie als Erben eingesetzt hat, bemerkte der Notar.
– Ob er mich dazu eingesetzt hat?… Wen denn sonst?… Das werd’ ich sofort wissen….«
Schon wollte er die Siegel erbrechen, als Ben Omar ihn mit den Worten zurückhielt:
»In Ihrem eigenen Interesse, Excellenz, ist es besser, die Sache nach gesetzlicher Vorschrift in Gegenwart von Zeugen zu erledigen…«
Damit öffnete Ben Omar schon die Thür und ließ zwei Kaufleute aus der Nachbarschaft eintreten, um der Testamentseröffnung beizuwohnen.
Die beiden Herren konnten bestätigen, daß das Packet unverletzt war, und darauf wurde es geöffnet.
Das Testament erhielt nur gegen dreißig Zeilen in französischer Sprache mit folgendem Tenor:
»Ich ernenne zu meinem Testamentsvollstrecker den Notar Ben Omar in Alexandrien, dem eine Entschädigung von ein Procent meines in Gold, Diamanten und andern Edelsteinen bestehenden Vermögens zukommen soll. Der Werth meiner Nachlassenschaft beläuft sich etwa auf hundert Millionen Francs. Im Monat September 1831 sind die drei Fässer, die obigen Schatz enthalten, an der Spitze eines gewissen Eilandes vergraben worden. Die Lage dieses Eilandes wird sich leicht bestimmen lassen, wenn man die Länge von vierundfünfzig Grad siebenundfünfzig Minuten östlich von Paris mit der Breite combiniert, die im Jahre 1842 einem gewissen Thomas Antifer in Saint-Malo, Frankreich, heimlich mitgetheilt worden ist.
»Ben Omar wird diese Längenangabe genanntem Thomas Antifer persönlich übermitteln oder, im Falle, daß dieser bereits gestorben wäre, seinem nächsten Erbberechtigten davon Mittheilung machen. Es wird ihm ferner hiermit aufgetragen, genannten Erben bei seinen Nachforschungen zu begleiten, bis der vergrabne Schatz gehoben ist, dessen genaue Stelle am Fuße eines Felsens von mir selbst durch ein Doppel-
K
bezeichnet wurde.
»Unter Ausschluß meines unwürdigen Vetters Murad und seines ebenso unwürdigen Sohnes Saouk, wird Ben Omar sich beeilen, mit Thomas Antifer oder dessen directen Nachkommen in Verbindung zu treten und im übrigen nach den Anordnungen zu verfahren, die sich bei Gelegenheit jener Nachgrabungen finden werden.
»Das ist mein Wille, und ich erwarte, daß derselbe nach allen Seiten gewissenhaft beachtet werde.
»Geschrieben am 9. Februar 1842 im Gefängniß zu Kairo mit meiner eignen Hand.
Kamylk-Pascha.«
Wir brauchen wohl nicht auszumalen, wie Saouk dieses merkwürdige Testament aufnahm, und wie befriedigt Ben Omar über einen Auftrag schmunzelte, der ihm von der Summe, um die es sich handelte, ein Procent, das heißt, eine Million einbrachte, die von der Erbschaft für ihn abgesetzt werden sollte. Freilich mußte der Schatz erst gefunden werden, und das war nur möglich nach Bestimmung der Lage jenes Eilandes, indem man die im Testamente angegebene Länge mit der Breite verband, welche wieder Thomas Antifer ganz allein kannte.
Saouk’s Plan war schnell gefaßt, und unter den furchtbarsten Drohungen mußte Ben Omar sich zum Theilnehmer desselben hergeben. Eine schleunigst eingezogene Erkundigung belehrte sie, daß Thomas Antifer 1854 mit Tode abgegangen sei und einen einzigen Sohn hinterlassen habe. Nun galt es also, diesen Sohn Pierre-Servan-Malo aufzusuchen, geschickt an’s Werk zu gehen, um ihm das Geheimniß der seinem Vater bekannt gegebenen Breite zu entlocken, und dann Besitz von der ungeheuern Erbschaft zu nehmen, von der Ben Omar vorher seine Provision abziehen mochte.
Saouk und der Notar ließen nun keinen Tag verstreichen. Von Alexandrien aus dampften sie nach Marseille, benützten hier den Schnellzug nach Paris, dann den nach der Bretagne und waren an eben diesem Tage in Saint-Malo eingetroffen.
Weder Saouk noch Ben Omar zweifelten einen Augenblick daran, daß sie den Brief, der die kostbare Breitenangabe enthielt, bekommen würden. Der Malouin kannte wahrscheinlich gar nicht die Bedeutung der Sache, und schlimmsten Falls wollten sie ihm das Schriftstück abkaufen.
Der Leser weiß, wie das verlief, und erklärlich ist es wohl auch, daß Seine Excellenz darüber höchst ungehalten und in ungerechtfertigtem Zorn nicht abzuhalten war, den armen Ben Omar für diesen Mißerfolg verantwortlich zu machen.
Daher jene hitzigen Auftritte im Hôtelzimmer, aus dem der unglückliche Notar gar nicht mehr lebend fortzukommen fürchtete.
»Ja, ja, wiederholte Saouk, Deine
Weitere Kostenlose Bücher