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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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freundlichen Augen ansah.
    »Nummer Zehn der Ochse, bald wird der Wächter dreimal schlagen, und der siebte Tag des siebten Mondes wird dann gekommen und gegangen sein«, sagte er ruhig. »Dann wird der Sternenhirte zum tausendsten Mal vom Großen Gelben Fluß der Sterne in einem leeren Himmel zur Erde hinunterblicken, und er wird zum tausendsten Mal bittere Tränen weinen. Und so wird er in alle Ewigkeit Tränen vergießen und daran denken, daß der Himmelskaiser vorausgesagt hat, daß die Chancen, die Prinzessin zu den Sternen zurückzubringen, eins zu zehntausend Billionen Trillionen stehen. Natürlich besteht die schwache Möglichkeit, daß jemand dem himmlischen Buchmacher zu einem Herzanfall verhelfen möchte.«
    Meister Li schob mir die Krone zu. Ich nahm sie unter Tränen in die Hand. Lotuswolke konnte sich nur an dieses Leben erinnern, und sie wich ängstlich zurück.
    »Nein«, flüsterte sie, »ich liebe dich, du liebst mich, und wir können eine einsame Insel suchen und dort fortan glücklich und zufrieden leben!«
    »Das ist es ja«, sagte ich mit belegter Stimme, »fortan ist eine so lange Zeit.«
    »Ich fürchte mich« flüsterte Lotuswolke verzweifelt. »Ich möchte nicht in etwas Unbekanntes verwandelt werden.«
    »O doch, das willst du«, sagte ich traurig. »Lotuswolke, du gähnst beim Anblick von Diamanten. Smaragde langweilen dich zu Tode. Ich habe dir ein Kästchen voll Gold geschenkt, und du hast es dem ersten Menschen gegeben, der es wollte. Du hast dir nie ein neues Kleid gewünscht, mit Dienstboten kannst du nichts anfangen. Aber das änderte sich alles, wenn ich dir Perlen und Jade brachte. Du konntest dich nie richtig erinnern, doch du konntest auch nie ganz vergessen. Deine Augen wurden groß vor Hoffnung und Staunen, und aus deinem Gesicht sprach nur noch Sehnsucht. Ein seelenerschütterndes Verlangen erfaßte deinen ganzen Körper, und du hast die zitternden Hände nicht nach Perlen und Jade, sondern nach dir selbst ausgestreckt.«
    Mir brach das Herz, als ich sie schließlich in eine Ecke des Zimmers gedrängt hatte. »Perlen und Jade, und die Prinzessin der Vögel hieß Jadeperle...« sagte ich leise.
    Ich hob die Hände und setzte der Frau, die ich liebte, die kleine goldene Krone auf den Kopf.
     

30.
CHINA!
     
    Ich vermute, es bestehen nur geringe Aussichten, daß ein Mensch vor der Aufgabe steht, eine Göttin zu retten. Doch die Chancen stiegen beträchtlich, wenn es sich um so bedeutende Menschen handelt, wie meine Leser es sind. Deshalb möchte ich euch allen zwei Ratschläge geben.
    Man nehme sich vor dem göttlichen Licht in acht und gehe in Deckung.
    Kaum hatte die Krone den Kopf von Lotuswolke berührt, als ich beinahe erblindete. Ich sank auf die Knie und starrte benommen auf tanzende schwarze Flecken und leuchtende, orangenfarbene Funken. Aber trotzdem sah ich in meinem Herzen, daß sie sich von mir entfernt hatte. Und als meine Augen sich an das überirdische Leuchten gewöhnt hatten, sah ich, daß meine geliebte Lotuswolke die Große Wurzel der Macht vom Tisch genommen hatte und hinaus in den Garten gegangen war. Ein Strahlenkranz umgab sie, und die Krone auf ihrem Kopf glühte wie Feuer. Die Prinzessin der Vögel beachtete mich nicht, und ich spürte eine Hand auf der Schulter. »Mein lieber Junge, sie hat jetzt an viele Dinge zu denken«, sagte Meister Li freundlich. »Setz dich zu mir an den Tisch und trinke einen Schluck. Trinke sechs oder sieben.«
    Im Garten saßen die Hunde vor einem kleinen Häufchen Staub, das einmal das Herz ihres Meisters gewesen war. Sie saßen so still wie Statuen. Lotuswolke hob das Gesicht zum nächtlichen Himmel und stieß eine leisen Laut aus, der weder ein Zwitschern noch ein Pfeifen war, sondern dazwischen lag. Die Köpfe der Hunde fuhren herum, und sie schienen einem fernen Echo zu lauschen. Lotuswolke sank auf die Knie, senkte den Kopf und faltete die Hände. Sie betete lange und berührte dann demütig mit dem Kopf die Erde. Lotuswolke erhob sich, beugte sich über die Große Wurzel und unterhielt sich stumm mit ihrer Patin. Dann drehte die Prinzessin der Vögel sich nach dem Schloß des Labyrinths um, dessen riesige schwarze Umrisse drohend vor dem nächtlichen Himmel aufragten, und hob die Ginsengkönigin in die Luft.
    Meister Li griff nach einem Weinkrug und forderte mich auf, seinem Beispiel zu folgen. Dann verkroch er sich unter dem massiven Tisch und legte sich als zusätzlichen Schutz ein paar dicke Kissen zurecht. »Ich

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