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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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aufblickten.
    »Wißt ihr, ich spüre in meinem Herzen, daß ich etwas damit zu tun hatte, obwohl es mir unmöglich vorkommt«, sagte Geizhals Shen staunend. »Ich kann mir nicht denken, daß etwas so Schönes mit jemandem in Zusammenhang stehen kann, der so häßlich ist, wie ich es bin.«
    Seine Frau küßte ihn auf die Wange, und das reizende kleine Mädchen in seinen Armen sah ihn überrascht an. »Aber Papi, du bist doch sehr schön«, rief Ah Chen.
    Sie blieben hinter uns zurück. Wieder flogen wir über einen Berg und über ein Tal, das verschwommen unter uns lag, dann verlangsamte der Falke seinen Flug und schwebte über einem Friedhof, wo ein erschöpfter und einsamer alter Mann sich mit einer Leiche auf den Schultern durch die Reihen der Gräber schleppte. Er drehte den Kopf des Toten hinauf zur Brücke der Vögel.
    »Sieh dir das an. Wenn die Vögel ein solches Kunstwerk vollbringen, gelingt dir doch sicher so etwas Einfaches wie eine Auferstehung«, sagte Doktor Tod sachlich. »Vielleicht hilft es, wenn du begreifst, wie wichtig es ist. Meine Frau war nicht hübsch, doch sie war die beste Frau der Welt. Sie hieß Chiang-chao, und wir waren sehr arm, aber aus einer Handvoll Reis und den Kräutern, die sie im Wald sammelte, konnte sie die köstlichsten Mahlzeiten bereiten. Wenn ich niedergeschlagen war, sang sie schöne Lieder, und sie nähte Kleider für reiche Damen, um mir zu helfen, meine Studien zu bezahlen. Wir lebten sehr glücklich zusammen, und ich weiß, wir werden auch wieder glücklich zusammen sein.«
    Der Falke stürzte wie ein Stein in die Tiefe, spreizte die mächtigen Krallen, und es gab einen dumpfen Schlag. Wir erhoben uns wieder in die Luft, während der alte Mann zu Boden stürzte. Sein Geist löste sich von seinem Körper, ein anderer Geist rannte mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu, und Doktor Tod und die beste Frau der Welt umarmten sich unter der Brücke der Vögel.
    Die Sterne über uns verschwammen zu einem leuchtenden Band, und die Landschaft unter uns entrollte sich wie ein Bild: die Hügel und Täler, die Salzwüste und der Steinglockenberg, die Stationen auf unserem mühsamen Weg. Wir flogen eine Bergflanke hinauf, auf eine steinerne Säule zu, an der ein Hammer und ein Gong hingen, und wo schwarz die Öffnung einer Höhle gähnte. Dort stand der weiseste Mann der Welt und blickte zur Brücke der Vögel auf, und einen Augenblick dachte ich: »Vielleicht ist es doch nicht so schlecht, kein Herz zu haben.« In den Augen des Alten lag echte Freude. Dann entdeckte ich, daß seine Hände Juwelen streichelten, und ich erinnerte mich daran, daß ein Mensch ohne Herz kalte Dinge liebt, und nichts ist kälter als ein Schatz.
    »Kalt«, sang der Alte vom Berg. »Kalt... kalt... kalt.« I er weiseste Mann der Welt kehrte der schönen Brücke der Vögel den Rücken zu und schlurfte in seine dunkle Höhle zurück. Wieder zog unter uns ein Tal dahin, dann ein Fluß und ein Hügel, und wir näherten uns einem Berggipfel, als Meister Li und ich wie aus einem Mund riefen: »Sie haben doch sicher für ihre Torheit bezahlt!«
    Wir starrten auf die Leiber der drei Zofen, die immer noch im kalten See der Toten unter uns trieben. Der Falke wandte den Kopf.
    »Im Leben waren sie treulos, aber im Tod waren sie treu über alle Maßen«, sagte der Fürst der Vögel des Krieges. »Ihre Tapferkeit ist den Richtern der Hölle zu Ohren gekommen, und soeben treffen die Yamakönige ihre Entscheidung.«
    Wir sahen, wie die Leiber sich friedlich auflösten, und spürten eine unbeschreibliche Welle der Freude, als die Seelen von Schneegans, Kleine Ping und Herbstmond an uns vorbeiglitten, um ihrer Herrin in den Himmel zu folgen.
    Das starke Herz pochte unter uns, der Falke schlug kraftvoll mit den Flügeln, und die Brücke der Vögel blieb weit hinter uns zurück. China versank. Der Wind trieb mir die Tränen in die Augen, ich konnte nichts mehr sehen und klammerte mich verzweifelt fest. Eine Stunde lang hatte ich keine Ahnung, wo wir uns befanden. Aber dann trug der pfeifende Wind mir unzählige vertraute Gerüche in die Nase. Die Geschwindigkeit verringerte sich, ich blinzelte, der Falke glitt in die Tiefe und flatterte grüßend über dem Wachturm auf dem Drachenfelsen. Als das Kloster näherkam, sahen wir die wachehaltenden Bonzen auf dem Dach staunend in die Luft weisen, und dann begannen alle Glocken zu läuten. Wir sanken hinunter, und der Falke landete sanft im Hof.
    Meister Li und ich stiegen von

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