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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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gegangen waren, hatten wir ihn bereits entdeckt.
    In allen Geschäften und Vergnügungsstätten stand eine Eisentruhe mit dem Tigerwappen des Herzogs. Die Hälfte aller Einnahmen wanderten in die Truhe, die andere Hälfte in die Kasse des Besitzers; es mußte also jemanden geben, der den Anteil des Herzogs einsammelte. Der Steuereinnehmer von Ch'in mußte den höchsten Rang unter den verächtlichsten Berufen der Welt bekleiden. Und der Mann, den das Schicksal dazu bestimmt hatte, war überall als der Schlüsselhase bekannt - es konnte nicht anders sein, denn er war ein unterwürfiger, kleiner Wicht mit rotgeränderten Augen und einer langen roten Nase, die ständig vor Angst zuckte. Wenn er durch die Straßen trippelte, klimperten und rasselten die zahllosen Schlüssel an den Ketten.
    »O je, o je, o je!« jammerte der arme Kleine, wenn er in Weinhäuser, Bordelle und Spielhöllen trippelte. »O je, o je, o je!« wimmerte er, wenn er wieder hinaushoppelte.
    Ihn begleiteten ein Zug Soldaten und zwei Karren - der eine für die Ausbeute, der andere enthielt die riesigen Schriftrollen, auf denen jedes Gesetz und jede Verordnung stand, die im Reich des Herzogs galten. Die Richter fällten Urteile, aber nur der Steuereinnehmer konnte Geldstrafen verhängen. Man war sich darüber einig, wenn der Schlüsselhase das Gesetz auch nur in einem Punkt überging, wodurch der Herzog möglicherweise nur einen Pfennig einbüßte, würde der Schlüsselhase seinen Kopf einbüßen. »O je, o je, o je!« winselte er, als er in die Grillenkampfarena zur Glücklichen Wette kam. Er suchte unter den vielen tausend Schlüsseln nach dem richtigen, öffnete die Eisentruhe, zählte die Münzen, überprüfte das Kassenbuch, um zu sehen, ob der Betrag verdächtig niedrig war, beriet sich mit Spitzeln, um sicher zu sein, daß kein Betrug vorlag, verschloß die Truhe wieder und klapperte und klimperte die Straße entlang zur nächsten Geldquelle. »O je, o je, o je!« jammerte er, und das war verständlich, denn wenn der Herzog um einen Pfennig zu kurz kam, würde er um einen Kopf kürzer gemacht.
    Wenn die Sonne über dem Schloß des Labyrinths unterging, trippelte der Schlüsselhase den Weg hinauf zu den Schatzkammern des Herzogs, wo Schreiber die Münzen zählten. Meist war er gezwungen, die Nacht damit zu verbringen, die Einnahmen nachzuzählen, um sicher zu sein, daß die Schreiber auch nicht einen Pfennig in ihre Taschen hatten wandern lassen. Wer mußte den Herzog von Ch'in auf der jährlichen Steuerreise begleiten und bestimmen, wieviel jedes Dorf zu entrichten hatte? Der Schlüsselhase natürlich, und es war allgemein bekannt, wenn es ihm nicht gelang, das letzte Reiskorn aus den Bauern herauszupressen, gelang es ihm auch nicht, seinen Kopf Zu behalten.
    Für jeden anderen Menschen wäre das schon Kummer genug gewesen, für den Schlüsselhasen jedoch nicht. In einem Anfall geistiger Umnachtung hatte er geheiratet.
    »Versteht mich nicht falsch«, sagte die alte Frau, die uns mit dem Klatsch der Stadt die Ohren vollredete, »Lotuswolke ist ein liebes, nettes Mädchen vom Land und hat das beste Herz auf der Welt. Aber sie war auf die Verführungen des Stadtlebens nicht vorbereitet und ist ein Opfer unersättlicher Habgier geworden. Ihr Mann, der selbst keinen Pfennig besitzt, hat nicht einmal Ruhe, wenn seine Frau sich einen reichen Liebhaber nimmt, denn sie ruiniert ihn mit Sicherheit im Lauf einer Woche. Der Schlüsselhase glaubt, daß er in einer früheren Inkarnation ein schreckliches Verbrechen begangen haben muß, für das er bestraft wird, indem er mit der teuersten Frau der Welt verheiratet ist.«
    Wenigstens dieses eine Mal hielt mein ungebildeter Verstand mit Li Kao Schritt.
    »Der Schlüssel zum Labyrinth ist der Schlüsselhase. Und der Schlüssel zum Schlüsselhasen ist seine Frau«, erklärte Meister Li, während wir weiter schlenderten. »Wenn ich neunzig wäre, würde ich es selbst übernehmen, aber wie es aussieht, ist Lotuswolke deine Sache. Du kannst dich mit dem Gedanken trösten, daß die teuerste Frau der Welt wahrscheinlich auch die schönste ist.«
    »Meister Li, ich werde meine Pflicht tun«, sagte ich tapfer. »O ja, bestimmt«, seufzte er, »Ochse, mit dem, was von Geizhals Shens Goldmünzen übriggeblieben ist, wirst du auf einen lebenden Fall von unersättlicher Habgier kaum Eindruck machen. Wir müssen uns ein Vermögen beschaffen.«
     

13.
Die Kunst, ein Stachelschwein zu kochen
     
    Li Kao schlug den Weg zum

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