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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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nicht?«
    »Ja«, erwiderte ich nachdenklich, »jetzt erinnere ich mich deutlich. Es war eine Nadel aus reinstem Silber... allerdings ist sie vor dem letzten Stück zu Boden gefallen, und deshalb mußte ich eine andere benutzen.«
    »Eine silberne?« fragte er mit angehaltenem Atem.
    Ich ließ die Spannung wachsen und runzelte nachdenklich die Stirn. »Eine goldene«, sagte ich schließlich.
    Der Abt hat mich immer davor gewarnt, nach dem Schein zu urteilen, und der Kaufmann war dafür ein klassisches Beispiel. Bei seiner gefräßigen Erscheinung dachte man an ein Mastschwein, und man hätte bei ihm hemmungslose Genußsucht vermutet. Und doch freute er sich nicht darüber, daß seine Schlemmerwelt nicht zusammengebrochen war; Tränen strömten ihm über die Wangen, und sein Bauch hüpfte zuckend, als er schluchzte:
    »O mein Junge! O armer, unglücklicher Junge. Die geringste Berührung von Stachelschweinfleisch mit Gold ist tödlich. Der Fluch eines bösen Geistes hat Euch dazu gebracht, bei diesem letzten Fleischstück eine Goldnadel zu benutzen, und dann habt Ihr es liebevoll auf den Teller...«
    »... der Frau gelegt, die ich liebte!« jammerte ich, »meine Dummheit hat meiner schönen Braut das Leben gekostet!« Ohnmächtig sank ich über dem Sarg zusammen, und das gab mir Gelegenheit, das Fläschchen mit dem Elixir der Einundachtzig Ekelhaften Essenzen zu öffnen, das auf der anderen Seite versteckt war.
    »Sich vorzustellen, daß mein geliebter Urenkel für einen so grauenvollen Tod verantwortlich ist!« schrie Meister Li entsetzt. »Ich habe oft von Vergiftungen durch Stachelschwein gehört, doch ich muß gestehen, daß ich so etwas noch nie gesehen habe«, erklärte der Kaufmann kleinlaut, »ist es... sehr schlimm?« Die Zöllner und Wächter hatten sich neugierig um uns gedrängt und blickten jetzt unruhig auf den Sarg.
    »Es begann damit, daß sie überall rote Flecken bekam, die schließlich den ganzen Körper bedeckten«, erzählte Meister Li flüsternd, »dann färbte sich das Rot grün.«
    Das Elixier Der Einundachtzig Ekelhaften Essenzen wirkte wunderbar, und vom Sarg stieg ein bestialischer Gestank auf. »Iiiiiii!« Der Zollvorsteher würgte.
    »Dann verwandelte sich das schreckliche giftige Grün in Schwarz«, flüsterte Meister Li.
    »Schwarz?« fragte der Kaufmann und wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht, um den Gestank zu vertreiben. »Um ganz genau zu sein, es war ein grünlich-bläulich-gelbliches Schwarz, das an den Rändern etwas verblaßte«, sagte Meister Li nachdenklich, »dann setzte der Geruch ein.«
    »Geruch?« würgte der Zollvorsteher und taumelte durch die verpestete Luft.
    »Ich kann den schrecklichen Geruch nicht beschreiben!« Meister Li weinte. »Gäste liefen um ihr Leben, und mein geliebter Urenkel streckte die Hand nach seiner Braut aus... oh, wie soll ich diesen entsetzlichen Augenblick beschreiben? Seine Finger versanken in ihrem Körper, denn ihre zarte, weiche Haut war zu einer wabbeligen Masse geworden, aus der grüne und gelbe Fäulnis quoll. Und der Geruch, der Geruch, der entsetzliche, giftige Gestank... Hunde brachen krampfhaft zuckend zusammen, Vögel fielen leblos von den Bäumen...«
    Aus irgendeinem Grund waren wir plötzlich allein... Wenige Minuten später taumelten wir aus dem Zollhaus und hingen wie die anderen über dem Geländer am Wasser und mußten uns übergeben. Ich darf bemerken, daß das Elixier Der Einundachtzig Ekelhaften Essenzen einen Stein zum Kotzen bringen kann. Der Kaufmann, die Wächter und die Zöllner berieten und entschlossen sich, uns zusammen mit dem Sarg ins Meer zu werfen, ehe alle in dem Gestank erstickten. Doch Li Kao appellierte an ihren Patriotismus. Er wies darauf hin, daß meine Braut, falls sie im Meer landete, die chinesische Fischindustrie mindestens dreitausend Jahre lang zugrunde richten würde. Ein Kompromiß wurde gefunden. Sie beschafften uns eine Schubkarre für den Sarg, ein paar Schaufeln und einen vor Angst schlotternden Bonzen, der uns zum Aussätzigenfriedhof voranging, wobei er einen Gong schlug und schrie: »Unrein! Unrein!« Der Bonze rannte auf dem Friedhof davon, und wir sahen zu, wie die Segel des Schiffes im Dunst verschwanden, mit dem der Kaufmann und seine vier Holzkisten davonfuhren, unter denen ein Sarg war, von dem wir den Begräbnisschmuck entfernt hatten. Wir rissen den Begräbnisschmuck von der Holzkiste des Kaufmanns, und ich stemmte den Deckel auf. Auf einem Stück Leinwand lag ein kleines

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