Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel
beim Mahl das Leben gekostet! Es wurde nur reinstes Hua-Weizenmehl benutzt mit einer Spur Salz vermischt und dann genau sechs Stunden der Sonne ausgesetzt.«
»Unter einem Tuch, um es vor Staub zu schützen? Staub kann tödlich sein!«
»Unter einem Gazetuch, um den Staub abzuhalten. Dann wurden das Mehl und die Bohnen zu einer Paste verrührt, in einen Krug gefüllt, der mit einer Tonschale verschlossen und mit Kalk versiegelt wurde. Ich muß wohl nicht erwähnen, daß nur reines Flußwasser benutzt wurde, denn ein einziger Tropfen wäre tödlich gewesen.«
»Ich verstehe es nicht«, flüsterte der Kaufmann, »alles richtig gemacht und trotzdem... einen Moment! In welchem Monat war es?«
»Seid Ihr von allen guten Geistern verlassen? Stachelschweinfüllung in einem anderen Monat als Juni herzustellen, ist doch Selbstmord!« schrie Meister Li ihn an.
Der Kaufmann wurde leichenblaß. Ihm dämmerte allmählich, wenn sich kein Fehler finden ließ, konnte er selbst nie mehr die köstlichste aller Delikatessen unbeschwert genießen.
»Unglaublich«, flüsterte er, »alles genau nach den Anweisungen des großen Li Tsening ausgeführt, und trotzdem erwies sich das Stachelschwein als tödlich. Wir müssen den Fehler finden! Verehrter Herr, ich bitte Euch, beschreibt mir genau die Methode, nach der Euer Koch das Stachelschwein zubereitet hat.«
Mir fiel auf, daß mich das Stachelschweinrezept so sehr interessierte, daß ich meine Pflichten als trauernder Bräutigam vernachlässigte. »Hu! Hu!« schrie ich, »hu, hu, hu!« Li Kao klopfte mir liebevoll auf die Schulter.
»Wenn man sich vorstellt, daß ein solches Unglück über den einzigen meiner Urenkel hereingebrochen ist, der weder geistesschwach noch moralisch degeneriert ist«, stammelte er mit belegter Stimme, »aber Ihr habt recht, wir müssen den Fehler finden. Als erstes entfernte mein Koch Augen, Magen, innere Organe und Embryos, falls vorhanden. Während er das Fleisch in Stücke schnitt, säuberte mein armer Urenkel mit seinen eigenen edlen Händen jedes Stück auch vom kleinsten Blutklümpchen. Dann garte der Koch das Fleisch im reinen Flußwasser...«
»Mit der Haut?«
»Mit der Haut. Dann nahm er das Fleisch aus dem Topf, legte es auf den Schneidetisch...«
»Mit einer Holzplatte?«
»Barmherziger Buddha, mir ist völlig klar, daß eine Platte aus Metall oder Stein tödlich sein kann!« fuhr Meister Li ihn an, »mein Koch entfernte mit einer spitzen Pinzette jeden Kiel und jeden Stachel, schnitt das Fleisch in kleinere Stücke, und ich versichere Euch, in quadratische Würfel... briet es in Schweineschmalz an. Dann... und erst dann fügte er die Bohnenpaste hinzu und schmorte das Ganze in heißem Öl. Er verwendete unendliche Sorgfalt darauf, jedes Staubkörnchen vom Topf fernzuhalten, und als er glaubte, das Fleisch sei gar, tunkte er ein Papierröllchen in die Sauce und hielt es über eine Kerzenflamme. Er wiederholte das so oft, bis das Papier sofort Feuer fing, und erst dann nahm er das Stachelschwein aus dem Topf und ließ es servieren.«
Kein Fehler... nicht ein einziger. Die Schlemmerwelt des Kaufmanns brach zusammen, und er vergrub das Gesicht in den Händen. Seltsamerweise erinnerte er mich dabei an Leuchtender Stern, in dem Augenblick, als sie geglaubt hatte, der Schwerttanz sei entweiht. Seine Leidenschaft war nicht so edel, doch gleichermaßen aufrichtig. Li Kao nutzte die Gelegenheit, um mich auf die Beine zu stellen, und ich weinte an seiner Schulter, während er mir den Rücken tätschelte.
»Wieviel sind gestorben?« flüsterte der Kaufmann. »Nur meine Braut!« heulte ich los, »hu, hu, huuuuu!«
»Sie als einzige von zweihundert«, schluchzte Meister Li, »und ich habe die Stachelschweine selbst ausgesucht! Ich hatte die Bohnenpaste selbst zubereitet! Ich habe die Zubereitung des Fleischs selbst überwacht! Mein geliebter Urenkel hatte jedes Blutklümpchen mit eigenen Händen entfernt! Er wählte die besten Stücke aus, um sie seiner Braut vorzulegen! Ich...«
»Einen Augenblick!« rief der Kaufmann. Er packte mich bei den Schultern. »Mein lieber unglücklicher junger Mann«, flüsterte er, »was für eine Nadel habt Ihr benutzt, um das Fleisch vom Blut zu säubern?«
Ich war tief gerührt. Li Kao hatte die Vorarbeit geleistet und den Wal angelockt, und ich durfte die Harpune werfen. »Was für eine... ich weiß es nicht mehr!« sagte ich. »Ihr müßt Euch erinnern!« beschwor mich der Kaufmann, »war es eine Silbernadel oder
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