Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

die Möglichkeiten sofort. »O je!« japste er, »Lord Li von Kao und Lord Lu von Yu haben für die Nacht kein Dach über dem Kopf. Meine bescheidene Behausung ist zwar kaum angemessen... Seht Ihr, vermutlich werde ich die ganze Nacht im Schloß verbringen müssen, um das Geld des Herzogs zu zählen. Meine liebe Frau ist dann allein und ungeschützt. Frauen fordern Schutz... neben anderen Dingen.« Er fiel auf die Knie und begann, die Spitzen unserer Sandalen zu küssen. »Wie Perlen!« klagte er, »und Jade!« stöhnte er. »Dürfen wir Euch von der gebratenen Gans etwas anbieten?« fragte Meister Li nicht unfreundlich, »das Rezept stammt von Lord Lu von Yu persönlich: vierundzwanzig Stunden in bester Weinhefe mit Honig und zerstampften Aprikosen mariniert. Übrigens ist Lord Lu von Yu ein Schüler von Chang Chou, der sagte: Er bevorzuge zwar die eigene Küche, aber die Frauen andere«
    »Welch eine Freude!« quiekte der Schlüsselhase.
    An diesem Abend bereitete ich mich darauf vor, die teuerste Frau der Welt kennenzulernen. Der Mond spielte mit den Wolkenfingern Haschen. Der sanfte, warme Windhauch duftete nach Blüten, und die Grillen zirpten im dunklen Garten des Schlüsselhasen. Die breiten Bänder aus Perlen und Jade, die ich ins Gras gestreut hatte, glitzerten wie ein Spiegelbild des Großen Sternenflusses, und ich wagte kaum zu atmen, als ich sah, wie eine junge Frau auf mich zukam und unter staunenden und entzückten Ausrufen den glitzernden Tand aufhob. Schließlich war sie nahe genug, daß ich sie deutlich sehen konnte. »Nummer Zehn der Ochse«, sagte ich zu mir, »man hat dich betrogen!«
    Sie war nicht einmal hübsch. Lotuswolke war ein richtiges Bauernmädchen mit großen Füßen, kurzen, dicken Beinen, großen breiten Händen und einem reizlosen, flachen Gesicht. Sie blieb stehen, musterte mich mit schief gelegtem Kopf und sah ganz so aus wie ein Mädchen vom Land, das sich überlegt, ob es sich auf dem Jahrmarkt ein kleines Spieltier kaufen soll. Ich konnte beinahe hören, wie sie dachte: Ja, ich nehme das niedliche Ding mit nach Hause. Und dann lachte sie.
    Ich kann dieses Lachen nicht beschreiben. Alle Hoffnung, alle Freude, alle Liebe, alles Lachen der ganzen Welt schien sich in einer Faust zu sammeln, die mir ins Herz stieß, und ich weiß nur noch, daß ich auf den Knien lag, die Arme um ihre Beine geschlungen hatte und meinen Kopf gegen ihre Schenkel preßte.
    »Ich heiße Lu, und mein Vorname ist Yu, aber man darf mich nicht mit dem bedeutenden Verfasser von Das Buch vom Tee verwechseln, und alle nennen mich Nummer Zehn der Ochse«, stöhnte ich. Sie lachte leise, und ihre Finger spielten in meinen Haaren. »Ich werde dich Bu-Fi nennen«, sagte sie.
    Man kann das Ausmaß meiner Verzauberung daran erkennen, daß ich mich darüber freute, Bu-Fi genannt zu werden. Am liebsten hätte ich wie ein kleiner Schoßhund jedesmal mit dem Schwanz gewedelt, wenn Lotuswolke auftauchte.
    »Schlüsselhase«, sagte ich ein paar Tage später, »Eure geliebte Frau ist nicht geistreich und sie ist nicht klug. Sie kann weder lesen noch schreiben, sie ist nicht attraktiv - noch nicht einmal hübsch, und ich bete die Erde an, über die sie geht.«
    »Das«, seufzte der Schlüsselhase, »sagen alle ihre Beschützer.«
    »Meister Li, habe ich den Verstand verloren?« fragte ich. »Nun ja, Schönheit ist eine lächerlich überbewertete Sache«, antwortete er, »im Lauf der vergangenen achtzig oder neunzig Jahre habe ich sehr viele schöne Frauen kennengelernt, und sie waren alle gleich. Eine Schönheit ist gezwungen, morgens lange im Bett zu bleiben, um Kraft für den nächsten schweren Kampf mit der Natur zu sammeln. Nachdem ihre Zofen sie gebadet und abgetrocknet haben, löst sie ihr Haar im Stil der Kaskade Verspielter Weiden, malt sich die Augenbrauen im Stil Ferne Bergkette, betupft sich mit dem Parfüm Neun Biegungen des Unterirdischen Flusses, trägt Rouge, Maskara und Lidschatten auf, bedeckt das Werk mit einer fingerdicken Schicht Puder Marke Nonchalanter Flirt, zwängt sich in ein Oberteil mit Pflaumenblütenmuster und in den dazu passenden Rock mit den passenden Strümpfen, legt vier oder fünf Pfund Schmuck an, blickt auf Suche nach sichtbaren menschlichen Zeichen in den Spiegel und stellt erleichtert fest, daß sie keine findet, dann versichert sie sich, daß ihr Make-up zu einer harten, unbeweglichen Maske erstarrt ist, bestäubt sich mit dem Parfüm Hundert Ingredienzen Himmlischer Geister die Im