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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Kinder tanzten und sangen: »Maulbeerblätter so glänzend und schön, welch eine Lust sie anzusehen!« Im ganzen Dorf herrschte freudige Erregung. Die Mädchen trugen Strohkörbe zum Kloster auf dem Hügel, wo die Bonzen sie mit gelbem Papier auslegten, auf das sie Bilder der Dame Pferdekopf gezeichnet hatten. Der Abt segnete dann die Körbe und verbrannte Weihrauch zu Ehren des Schutzpatrons der Seidenraupenzucht. Man brachte die Bambusgestelle und Schalen zum Fluß und schrubbte sie energisch. Man pflückte und zerstampfte Wildblumen, schnitt Lampendochte in winzige Stücke; die ältesten Mitglieder jeder Familie bestrichen Knoblauchzehen mit feuchter Erde und legten sie vor die Mauern der Häuser. Bekam der Knoblauch viele Triebe, bedeutete das eine reiche Ernte, und niemand konnte sich erinnern, jemals so viele Triebe gesehen zu haben. Die Frauen legten sich beim Schlafen die Tücher mit den Seidenspinnereiern auf die nackte Haut, um durch die Körperwärme das Schlüpfen zu beschleunigen. Die Alten warfen Reis in Töpfe mit Wasser, das über Holzkohlenfeuer brodelte. Als der Dampf schnurgerade aufstieg, schrien sie: »Jetzt!« Die Frauen streiften die Eier in Körbe mit Gänsefedern, streuten die zerstampften Wildblumen und die zerschnittenen Lampendochte darüber und stellten die Körbe auf die Bambusgestelle. Die Gänsefedern waren sorgfältig an den Seitenwänden der Körbe befestigt worden (die Bedeutung von Wildblumen, Lampendochten und Gänsefedern ist im Dunkel der Geschichte verlorengegangen, aber es würde uns nie im Traum einfallen, diesen Brauch zu ändern), dann wurden unter den Gestellen Holzkohlenfeuer entzündet. Die Familien knieten nieder und beteten zur Dame Pferdekopf, und in jedem Haus schlüpften die Larven genau zur erwarteten Zeit. Die Dunklen Damen wanden sich träge und genußvoll in der Wärme des Feuers. Doch sie blieben nicht lange träge. Wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat, kann man sich unmöglich vorstellen, wieviel Seidenraupen fressen - müssen, und ihre einzige Nahrung sind Maulbeerblätter. Es ist wahrlich nicht übertrieben, wenn man behauptet, daß die Kaugeräusche der gefräßigen Raupen Bären aus ihrem Winterschlaf wecken könnten, doch an Schlaf war ohnehin nicht zu denken. Es dauert ungefähr dreißig Tage, bis die Seidenraupen anfangen, ans Spinnen zu denken, und in dieser Zeit unterbrechen sie das Fressen nur dreimal: zum Kurzen Schlaf, zum Zweiten Schlaf und zum Großen Schlaf. Nach dem Großen Schlaf sterben die Seidenraupen, wenn sie auch nur eine Stunde ohne Nahrung bleiben. Wir pflückten Tag und Nacht die Blätter von den Bäumen, und die dafür eingeteilten Gruppen trugen sie körbeweise in die Häuser. Die Kinder hatten natürlich regelmäßig ihre Ruhepausen, doch wir anderen konnten von Glück sagen, wenn wir in den dreißig Tagen sechzig Stunden Schlaf bekamen.
    Die Alten unterhielten die Feuer, denn Seidenraupen brauchen eine gleichmäßige Wärme. Die Kinder, die zu klein waren, um zu arbeiten, blieben sich selbst überlassen. Wir entlaubten die Bäume, Wäldchen um Wäldchen, bis sie kahl waren, und taumelten dann erschöpft zum Maulbeerwäldchen von Pfandleiher Fang. Das bedeutete für uns natürlich noch mehr Schuldscheine, doch er besaß die schönsten Bäume im ganzen Dorf. Allmählich veränderten die Raupen ihre Farbe - von Schwarz zu Grün, von Grün zu Weiß. Dann wurden sie beinahe durchsichtig, und die ältesten Mitglieder der Familien stellten Wandschirme aus Bambus um die Gestelle, denn Seidenraupen sind scheu, wenn sie anfangen zu spinnen. Sie müssen vor neugierigen Blicken geschützt werden.
    Die ohrenbetäubenden Freßgeräusche sanken zu einem Dröhnen herab. Dann klangen sie wie eine ferne Brandung und wurden schließlich zu einem Flüstern. Schließlich legte sich eine Stille über unser Dorf, die gespenstisch und unwirklich zu sein schien. Es blieb nichts mehr zu tun, als die Feuer in Gang zu halten; wenn das Glück uns hold war, würden wir in drei Tagen die Wandschirme beiseite schieben und Schneefelder sehen: Die weißen Kokons, Seidenraupenblüten genannt, häuften sich dann auf den Gestellen und warteten darauf, in mehr als tausend Fuß langen Fäden auf Spindeln gewickelt zu werden. Einige schafften es, in die Betten zu fallen, aber andere sanken einfach zu Boden.
    Am fünfzehnten Tag des achten Mondes, an meinem neunzehnten Geburtstag, erwachte ich vom Geräusch sanft trommelnden Regens. Die Wolken begannen, sich

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