Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
Vom Netzwerk:
Wu-ti. Als er starb, hüpfte sein lüsterner Geist immer noch in die Betten der kaiserlichen Konkubinen; aus Verzweiflung suchte man im ganzen Land nach immer neuen Bräuten. Erst als ihre Zahl auf fünfhundertunddrei angewachsen war, gab der erschöpfte Geist schließlich auf und kroch in sein Grab zurück.) Ich rannte auf die Straße und warf einen kurzen Blick in alle Häuser, wo mich kleine Kinder anstarrten, die weinten oder lachten, oder die mit mir spielen wollten, und wo die Alten vor den Gestellen mit verwesenden Seidenraupen saßen und weinten, sonst jedoch so gesund wie Pferde waren. Dann stürmte ich wieder den Hügel hinauf und berichtete dem Abt, was ich gesehen hatte. Als wir eine Liste aufgestellt hatten, trat eine unumstößliche, aber auch unglaubliche Wahrheit zutage.
    Kein Kind unter acht und niemand über dreizehn war von der Seuche befallen worden. Aber jedes Kind - ohne Ausnahme -zwischen acht und dreizehn hatte plötzlich angefangen zu schreien, blindlings in die Luft zu schlagen und lag jetzt wie tot in dem Krankenzimmer, das der Abt im Gemeinschaftsraum der Bonzen eingerichtet hatte. Die schluchzenden Eltern sahen den Abt hilfesuchend an, doch er breitete die Arme aus und rief verzweifelt: »Zuerst müßt ihr mir sagen, wie eine Seuche lernen kann zu zählen!«
    Tante Hua war in unserer Familie schon immer die Tatkräftige gewesen. Sie zog mich beiseite. »Ochse, der Abt hat recht«, sagte sie mit belegter Stimme. »Wir brauchen einen weisen Mann, der uns sagt, wie eine Seuche lernen kann zu zählen. Ich habe gehört, daß es in Peking solche Männer gibt. Sie leben in der Straße der Augen. Ich habe auch gehört, daß sie sich ihre Dienste teuer bezahlen lassen.«
    »Tante, es wird mindestens eine Woche dauern, um aus Pfandleiher Fang Geld herauszubekommen, obwohl auch Reh zu den Opfern gehört«, erwiderte ich.
    Sie nickte, griff dann in ihr Kleid und zog einen abgeschabten Lederbeutel hervor. Sie schüttete mir den Inhalt in die Hände, und ich blickte verblüfft auf mehr Geld, als ich je in meinem Leben gesehen hatte: Hunderte von Kupfermünzen aufgezogen auf eine grüne Schnur!
    »Fünftausend in Kupfer, und du darfst deinem Onkel nie etwas davon erzählen. Niemals!« sagte die alte Dame energisch. »Lauf nach Peking, geh in die Straße der Augen und bringe einen weisen Mann mit zurück ins Dorf.«
    Ich hatte gehört, daß Tante Hua in ihrer Jugend eine aufsehenerregende Schönheit gewesen war und überlegte kurz, ob sie Gründe haben mochte, P'an Chin-lien, dem Schutzpatron gefallener Mädchen, ein Opfer zu bringen. Doch zu solchen Überlegungen blieb mir keine Zeit, denn ich machte mich sofort auf den Weg und rannte wie der Wind davon.
    Ich habe mit dem Mond Geburtstag, und Peking war bei meiner Ankunft ein einziges Irrenhaus. Es war wie einer dieser Alpträume, in denen man versucht, sich durch Treibsand zu kämpfen, als ich mich durch die Menschenmenge schob, die sich zum Mondfest in den Straßen drängte. Es herrschte ein unglaublicher Lärm; ich kämpfte mich durch die Straßen mit weit aufgerissenen Augen und schmerzenden Ohren und war verstört wie ein junges Pferd beim Schmied. Als ich schließlich die Straße erreichte, die ich suchte, war ich völlig durcheinander. Es handelte sich um eine elegante Allee, wo auf beiden Seiten prächtige Häuser standen. Über jedem Eingang hing ein Schild mit einem offenen Auge.
    »Die Wahrheit wird enthüllt«, schienen diese Augen zu sagen. »Wir sehen alles.«
    In mir regte sich leise Hoffnung, und ich klopfte an die nächstbeste Tür. Sie wurde von einem hochmütigen Eunuchen geöffnet, der Gewänder trug, die ich bis dahin mit dem kaiserlichen Hof in Verbindung gebracht hatte. Seine Augen glitten von meinem Bambushut bis hinunter zu den schäbigen Sandalen. Dann hielt er sich ein parfümiertes Taschentuch an die Nase und befahl mir, mein Anliegen vorzutragen. Der Eunuch verzog keine Miene, als ich sagte, sein Meister solle mir erklären, wie eine Seuche lernen kann zu zählen. Doch als ich hinzufügte, ich sei bereit, für die Antwort bis zu fünftausend in Kupfer zu bezahlen, wurde er blaß, lehnte sich schwach an die Wand und griff nach seinem Riechsalz. »Fünftausend in Kupfer?« flüsterte er. »Junge, mein Herr verlangt fünfzig Silberstücke, um einen verlorenen Hund zu suchen!« Die Tür wurde vor meiner Nase zugeschlagen, und als ich es beim nächsten Haus versuchte, flog ich durch die Luft auf die Straße -hinausgeworfen von

Weitere Kostenlose Bücher