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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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anscheinend hatten wir einen zuviel. Augenblicklich erhob sich unsere Flugmaschine in die Luft und benahm sich wirklich sehr ordentlich, wenn man davon absieht, daß sie im Kreis flog. Sie drehte langsam über den Ruinen der Stadt ihre Runden, während die wütenden Finger unter uns offenbar große Sätze vollführten und dabei Salzwolken aufwirbelten. »Die entsetzliche Kreatur kriecht auf die Palastmauer!« schrie Geizhals Shen. »Wenn sie erst dort oben sitzt und wir immer noch im Kreis fliegen, landen wir geradewegs in ihrem Maul!« Er hatte recht. Die Bambuslibelle ließ sich durch nichts von ihrem Kurs abbringen. Flammen und schwarzer Rauch markierten unseren Weg. Und auf der nächsten Runde würden wir der Hand aus der Hölle in die Fänge fallen.
    »Zieht die Jacken aus!« brüllte Meister Li, »benutzt sie als Steuerruder!«
    Wir rissen uns die Jacken vom Leib, hielten sie ausgebreitet in den Wind, und wie durch ein Wunder wirkte es. Gerade als wir die Mauer erreichten, schossen wir ruckartig nach links. Die Hand muß nach uns gegriffen haben, denn der obere Teil der Mauer begann gefährlich zu schwanken. Dann stürzte die Mauer ein. Die Steine polterten in den Lavasee. Es folgte ein gewaltiges Klatschen, und die kochende Lava schoß hundert Fuß hoch in die Luft. Langsam trieb das Ungeheuer an die Oberfläche. Schwarze Lava überzog, was vorher unsichtbar gewesen war. Wir starrten voll Grauen auf eine riesige, vielleicht sechzig Fuß lange, haarige Hand. Die Handfläche war nach oben gewendet, die Finger hatten sich zusammengekrallt. Plötzlich begann die Hand krampfhaft zu zucken, und die Finger streckten sich. Es waren überhaupt keine Finger, sondern die Beine einer riesigen Spinne. Ballen und Handfläche waren ein ekelhafter, praller Sack! Viele böse Augen starrten zu uns hinauf, ein scheußliches rundes Maul öffnete sich und entblößte einen Kranz riesiger spitzer Zähne. Dann füllte Lava das Maul, und Die Hand, die Niemand Sieht, versank für immer in der kochenden Lava.
    Die Bambuslibelle flog zielstrebig weiter, und die auf so tragische Weise zerstörte Stadt entschwand unseren Blicken. Wir schwiegen erschüttert. Schließlich räusperte sich Li Kao und sagte: »Ich vermute, es handelte sich einfach um eine zu groß geratene Verwandte der gewöhnlichen Minierspinne... sie war unsichtbar, weil sie vor der Katastrophe unter der Erde lebte. Die Natur ist erstaunlich anpassungsfähig. Es gibt im Meer sehr viele Lebewesen, die bis zur Unsichtbarkeit durchsichtig geworden sind... übrigens auch ein paar Insekten.«
    Er blickte auf die Stadt zurück, die zu einem winzigen Punkt in einer endlosen weißen Salzfläche geworden war.
    »Es ist wirklich schade, daß wir den Körper nicht zu Studienzwecken mitnehmen konnten. Ich hätte gern herausgefunden, wie es ihr gelungen ist, sich im Verlauf der vielen Jahrhunderte zu ernähren, nachdem sie die Bewohner der Stadt verschlungen hatte. Außerdem würde ich gern wissen, ob sie atavistische oder erworbene Augen besaß. Ein bemerkenswertes Exemplar! Trotzdem«, fügte Meister Li hinzu, »ich glaube, wir werden das Ableben dieser Spinne nicht bedauern.«
     

20.
Die Höhle der Glocken
     
    Stunde um Stunde kreisten die Palmblattflügel über uns. Flammen und Rauch zogen hinter uns her, während die Wunderbare Bambuslibelle über die glühendheiße Salzwüste flog. Mit unseren Jacken manövrierten wir das Gefährt an Wirbelwinden vorbei. Die von der Wüste aufsteigende Hitze trug uns wie eine glühende Hand immer höher und höher in den Himmel hinauf. Im letzten Licht der untergehenden Sonne wies Geizhals Shen auf eine lange dunkle Linie am Horizont vor uns.
    »Bäume!« rief er, »die Salzwüste endet dort!«
    Der beste Beweis dafür waren die dunklen Wolken, die sich am Himmel ballten. Blitze zuckten in der Ferne, und ich bezweifelte, daß es in den letzten tausend Jahren in der Wüste einmal geregnet hatte.
    »Wir müssen mit Schwierigkeiten rechnen, falls sich der Korb, in dem wir sitzen, mit Wasser füllen sollte«, erklärte Meister Li. Wir lösten drei Stücke Bambusrohr vom Rahmen am Boden des Korbs. So entstanden nicht nur Abflußlöcher, sondern wir hatten auch drei Stöcke für Regenschirme. Dünne Streifen vom Korbrand dienten als Gestell und unsere Hosen als Bespannung. Wir wurden gerade rechtzeitig fertig. Blitze zuckten, der Donner grollte, und es regnete in Strömen. Wir kauerten unter unseren Regenschirmen und flogen gut geschützt durch das

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