Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
Vom Netzwerk:
verbeugte mich und überließ ihn seinen Gedanken. Aus der Vorratskammer der Mönche nahm ich mir Brot und Wein und ging in den strahlenden Sonnenschein hinaus. Ich lieh mir im Geräteschuppen eine Hacke, einen Rechen und einen Besen. Es war der schönste Frühlingstag den man sich denken kann, und am Fest der Gräber hätte es kein besseres Wetter geben können. Ich ging zu den Gräbern meiner Eltern und jätete, rechte und fegte, bis ihre Ruhestätte makellos war. Dann opferte ich Brot und Wein. Ich besaß immer noch die Quasten und Verzierungen des eleganten Hutes, den ich bei unserem Besuch bei der Ahne getragen hatte, den Silbergürtel mit der Jadefassung und den goldgesprenkelten Fächer. Ich legte die Quasten, die Verzierungen und den Gürtel in die Schale für besondere Opfergaben. Dann kniete ich nieder, um zu beten. Ich flehte meinen Vater und meine Mutter an, mir Mut zu verleihen, damit ich meinen Vorfahren keine Schande bereiten würde. Danach fühlte ich mich sehr viel besser. Ich stand auf und lief nach Osten, in Richtung der Hügel.
    Vor Jahrhunderten hatte die große Familie der Lius über unser Tal geherrscht. Das Herrenhaus stand immer noch auf dem Kamm des höchsten Hügels, obwohl die jetzigen Besitzer sich nur selten dort aufhielten. Noch immer pflegten Gärtner den berühmten Park, den Schriftsteller wie Tsao Hsueh Chin und Kao Ngoh liebevoll beschrieben haben. Ich kannte ihn wie meine Jackentasche, und ich kroch durch eine geheime Öffnung in der hohen Mauer in das Paradies eines Gärtners. Gelbe Chrysanthemen leuchteten im Tal, und auf den Hügeln wiegten sich Silberpappeln und Espen im Wind. Ein Bach schoß in hohem Bogen über eine Felswand und stürzte als schäumender Wasserfall in einen leuchtend blauen See. Das Ufer säumten blühende Pfirsichbäume und Chichingbäume, deren violette Blüten direkt am Stamm und an den Ästen hingen. Dahinter lag ein schattiger Bambushain, dann folgten Birnbäume und Tausende von Aprikosenbäumen, an denen Millionen rosa Blüten leuchteten.
    Ich folgte dem Weg, der um die Mondterrassen führte und bog auf einen steinigen Pfad ab, der sich durch tiefe Schluchten mit moosbedeckten und von Ranken überwucherten grauen Felsen nach unten wand. Dann fiel der Pfad steil ab und führte in das Dunkel eines Zypressenhains, wo ein ruhiger Bach an der Sandbank Hafen Blühender Reinheit vorüberplätscherte. Ich kroch unter ein paar überhängende Büsche und band ein kleines Boot los. Ich stieg hinein, stieß ab und trieb durch eine lange gewundene Schlucht, wo die herabhängenden Weidenzweige das Wasser streiften, Kletterpflanzen sich an Steine klammerten und unter frostblauen Blättern dicke Büschel korallenroter Früchte leuchteten.
    Ich band das Boot an einem Baumstamm fest und folgte dem Pfad, der zu Lichtungen hinaufführte, die im hellen Sonnenschein lagen, wo glitzernde Bäche sich durch leuchtend grüne Wiesen wanden. Immer wieder erreichte ich Felsen oder Hügel, die den Ausblick versperrten, hinter denen sich aber stets ein noch schöneres Panorama entfaltete. Der Weg führte steil nach oben, zwischen unzähligen mächtigen Felsbrocken hindurch zu einer majestätischen Felsspitze, die bis in die Wolken reichte. Dahinter befand sich eine Schlucht, über die sich eine schmale Holzbrücke spannte. Dann wand der Pfad sich wieder nach oben, und ich befand mich plötzlich auf einem schmalen Bergkamm, wo Orchideen wuchsen, Amseln flöteten und Grashüpfer im strahlenden Sonnenschein zirpten. Tief unten sah ich mein Dorf. Es lag ausgebreitet vor mir wie ein Bild aus einem Buch.
    Am Ende des Weges befand sich ein Weidenwäldchen. Schließlich erreichte ich eine kleine grüne Lichtung, wo sich inmitten der wilden Blumen ein einsames Grab befand.
    Hier war die Tochter des Obergärtners begraben. Sie hieß Duftende Haarnadel. Doch sie war ein schüchternes ruhiges Mädchen gewesen, das sich vor Fremden fürchtete, und deshalb hatten sie alle Maus genannt. Ich hatte nie schönere Augen als die ihren gesehen, und sie war auch nicht ängstlich gewesen, wenn wir das Hüpf-Versteck-Spiel gespielt hatten. Maus gelang es dabei beinahe immer, am längsten ihr rotes Band zu behalten und Königin zu werden. Sie war auch nicht schüchtern gewesen, als sie eines Tages entschied, wir würden später einmal Mann und Frau sein. Mit dreizehn war sie krank geworden. Ihre Eltern hatten mir erlaubt, ihr auf dem Totenbett die Hand zu halten, und sie flüsterte die letzten Worte von Mei

Weitere Kostenlose Bücher