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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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erklären weshalb, aber das Gebet
hat eine außerordentlich beruhigende Wirkung, wenn man es ständig wiederholt.
Dann sahen wir ihn, und ich war enttäuscht. Ich hatte einen Barbaren mit wilden
Augen erwartet, aber es war nur ein Bonze. Er war klein, blaß, schien halb tot
vor Angst zu sein und sah sich verzweifelt im Raum um. Seine Augen hefteten
prüfend die Rückseite. »Was wißt Ihr über die gestohlene Handschrift ?« fragte er.
    Der Abt errötete. »Ich bin
kein Gelehrter. Ich könnte kein Wort davon lesen«, sagte er bescheiden .
»Bruder Blinzel, der ermordete Mönch, war unser Bibliothekar, und er hat
gesagt, sie sei alt, aber nicht wertvoll. Ein Kuriosum, das vielleicht als
Fußnote eines historischen Werks gedacht war.« »Wie sah sie aus ?«
    Der Abt zeichnete eine etwa
dreißig Zentimeter lange, fingerdicke Schriftrolle in die Luft.
    »Was ist mit der Leiche von
Bruder Blinzel geschehen ?« »In unserem Kühlraum war
noch etwas Eis. Also habe ich die Leiche darauf legen lassen«, sagte der Abt.
»Ehrwürdiger Herr, unser Orden ist arm. Aber Sie werden sicher schon von Prinz
Liu Pao gehört haben. Ich habe ihm geschrieben. Er ist bereits auf dem Weg, und
ich versichere Euch, er wird bezahlen, was...«
    Meister Li hob die Hand.
»Das wird vielleicht nicht nötig sein«, sagte er, »angenommen, ich biete meine
Dienste einschließlich aller Ausgaben als Gegenleistung für das Fragment der
Handschrift ?« »Abgemacht !« rief der Abt.
    Die Vorstellung, daß
Meister Li die Sache übernommen hatte, wirkte wahre Wunder. Der kleine Mönch
schien augenblicklich zwanzig Jahre jünger zu sein. Innerhalb weniger Minuten
war alles besprochen. Der Abt sollte sofort in das Kloster zurückkehren, und
Meister Li versprach, sich am nächsten Tag auf den Weg in das Tal der Seufzer
zu machen. Der Abt bekam starkes Nasenbluten, weil er immer wieder mit dem Kinn
gegen den Fußboden schlug, während er rückwärts zur Tür kroch. Aber er sprang
mit fröhlichem Gesicht auf und rannte hinaus, um seinen Mönchen die gute
Nachricht zu bringen. Meister Li sah ihm wie ein gütiger Großvater nach.
    »Nun Ochse, was hältst du
davon ?« fragte er.
    Er meinte das Fragment der
Handschrift und wußte sehr wohl, daß ich gar nichts davon halten konnte. Ich
kann nur die einfache Schrift lesen, und bei diesem Text handelte es sich um
die Kurzschrift der Gelehrten, noch dazu um eine alte Kurzschrift. Ich
antwortete mit einem Schulterzucken. »Es ist eine Fälschung«, sagte Meister Li
glücklich. Er betrachtete das Pergament beinahe ehrfürchtig. »Das ist die
Untertreibung des Jahrtausends. Es ist eine so phantastische Fälschung, daß man
einen Tempel darum bauen und sie mit Gebeten, Gongs und Weihrauch verehren
sollte. Der Mönch, der sie entdeckt hat, ist ermordet worden, und das ist genau
so, wie es vom künstlerischen Standpunkt gesehen auch sein sollte. Gesegnet sei
das Eis !« rief er. »Aus dem Fragment zu schließen, ist
der linke Lungenflügel von Bruder Blinzel bestimmt mit Yakmist vollgestopft.
Der rechte Lungenflügel wird Vulkanasche enthalten. Die Eingeweide in seinem
Bauch sind mit den abgeschnittenen Zöpfen von Novizinnen umwickelt, und in
seine Leber werden die Sieben Sakrilegien des Tsao Tsao eingraviert sein. Mein
Junge, wir werden die entzückendste Autopsie der Geschichte durchführen .« Ich bezweifelte, daß eine Autopsie entzückend sein
konnte, aber das störte mich nicht. In Meister Lis Augen brannte wieder das
alte Feuer, und ich fühlte mich wie ein Schlachtroß, das man in den Kampf
zurückruft. Beinahe hätte ich gewiehert und gestampft.
    2.
    Der Regen hatte
nachgelassen, und der Himmel hellte sich schnell auf. Es versprach, ein schöner
Nachmittag mit genug Wolken für einen prachtvollen Sonnenuntergang zu werden.
Ich genoß die frische Luft nach dem Gestank von billigem Alkohol in Wongs
Kneipe. Die Straßen waren vom Regen glatt, und deshalb nahm ich den alten Mann
auf den Rücken, als wir die Gasse der Fliegen erreichten, wie ich es immer tue,
wenn ihm das Gehen schwerfällt. Seine winzigen Füße passen bequem in meine
Jackentasche, und er wiegt nicht mehr als ein Schuljunge.
    Die Straßen waren beinahe
menschenleer. Mir war das nur recht, denn wir befanden uns in dem Teil der
Stadt, der Himmelsbrücke heißt. Dort wimmelt es üblicherweise von Herren mit
narbigen Gesichtern, die sich in der stummen Sprache der Geheimgesellschaften
miteinander verständigen: Finger, die sich blitzschnell in Ärmeln

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