Meister Li und der Stein des Himmels
ihrer
Gewänder bewegen. Himmelsbrücke ist auch der Ort, an dem die öffentlichen
Hinrichtungen stattfinden, und man sagt, in der dritten Wache kann man dort
scharenweise Geister sehen, die wie Geier auf der Klagemauer hinter den Blöcken
hocken. (Das Köpfen hat ihren Charakter nicht verbessert. Wohlmeinende Fremde,
die Schluchzer eines Kindes oder das Flehen einer Frau hören und in die
Schatten treten, werden nie mehr gesehen.) Himmelsbrücke macht mich nervös, und
ich freute mich, daß der einzige Mensch, dem wir begegneten, ein Bonze war, der
pflichtschuldigst gegen seinen hölzernen Fisch schlug, obwohl es kein
Spendentag war.
»Die Doppelstunde der Ziege !« schrie er, »das Bankett des Gouverneurs ist abgesagt,
aber trotzdem findet im Tempel des Konfuzius eine Vorführung der Steinglocken
statt! Die Westbrücke ist für den Verkehr gesperrt, und alle Fahrer müssen mit
einer Geldbuße rechnen! Von Osten nähert sich ein neues Gewitter, aber der
westliche Horizont ist klar !« Ich blickte mich um.
»Der ist verrückt«, sagte ich, »der Osten ist klar, die Wolken sind im Westen .«
Meister Li stieß mir leicht
in die Rippen und wies mit dem Finger. Von Osten näherte sich eine Patrouille
der Stadtwache. Er wies nach oben, und ich entdeckte ein paar Herren, die auf
dem Dach von Mengs Wechselstube hockten. Die Einbrecher winkten dem Bonzen zu
und verschwanden hinter dem Dachfirst im Westen. »Typisch Himmelsbrücke«,
seufzte ich. Meister Li betrachtete den Bonzen nachdenklich, als wir an ihm
vorbeigingen. »Alibi Ah Sung aus Chao-ch'ing«, sagte er ebenso nachdenklich,
»das ist die Purpurblüte. Was tun sie ...«
Er sprach den Satz nicht zu
Ende und begann zu lachen. »Ochse, was riechst du ?« fragte er.
»Feuchte Erde,
Kiefernnadeln, Schweinefett, Eselsmist und Parfüm aus Mutter Hos Freudenhaus«,
sagte ich. »Falsch. Du riechst das Schicksal«, sagte Meister Li fröhlich, »ein
Schicksal, das sich scheinbar so leichtfüßig wie ein schwergewichtiger Elefant
nähert. Erinnerst du dich, worüber ich bei Wong gesprochen habe, ehe wir
unterbrochen wurden ?«
»Über Betrug und Fälschung,
ehrwürdiger Meister, und davon, daß unsere dekadente Kultur vom Wind
davongeweht wird.«
»Und letzte Nacht sah ich
mich genötigt, einen Mann zu ermorden und die Leiche zu untersuchen. Das führte
zu der Feststellung, daß er ein merkwürdiges Gemisch von Säurespuren an den
Fingern und ein Beutelchen voll Teufelsschirm in der Tasche hatte. Dann steckte
jemand der Dame Hou ein paar Feuerbälle zu, und das liebe Mädchen beschloß,
einem Mandarin die Kehle durchzuschneiden. Danach tauchte ein Mönch mit einer
Fälschung auf, die der Gipfel aller Fälschungen ist, und jetzt raubt eine Bande
aus Chao-ch'ing Mengs Wechselstube aus. Die Summe all dessen ist das
Schicksal«, sagte Meister Li zuversichtlich - wenn auch etwas rätselhaft.
»Machen wir einen Umweg .«
Peking ist nicht so schön,
wie die Großstädte Chang-an oder Loyang oder Hangchow schön sein können, aber
der Feuerroßpark ist sehr hübsch, ganz besonders nach dem Regen. Dann liegt der
Geruch von Kiefern, Pappeln, Weiden und Johannisbrotbäumen in der Luft. Meister
Li bat mich, zum Auge der Ruhe zu gehen. Das ist nicht gerade mein
Lieblingsplatz. Es ist ein kleiner runder Teich, der alten Sündern vorbehalten
ist, die sich in letzter Minute noch die Rettung erhoffen, und die Gespräche an
diesem Teich sind nicht gerade anregend. Aus irgendeinem Grund verwechseln die
alten Knacker Heiligkeit mit Senilität und flöten den lieben langen Tag: »Geeh
- geehgeeh«, begleitet von Sabbern und gezierten Augenaufschlägen in Richtung
Himmel. Ich glaube, sie versuchen mit allen Mitteln, ihre Harmlosigkeit unter
Beweis zu stellen. Die Tattergreise folgen dem Vorbild des heiligen Chiang
Taikung und sitzen mit Angelruten am Ufer, halten die Haken jedoch genau einen
Meter über das Wasser. (Chiang Taikung angelte gern, wollte jedoch auf keinen
Fall töten. Er sagte, wenn ein Fisch aus dem Wasser springt und Selbstmord
begeht, sei das Sache des Fischs.) Fliegende Händler
machen ein gutes Geschäft mit Würmern. Die alten Sünder kaufen sie eimerweise
und werfen noch mehr schräge Blicke zum Himmel, während sie die Würmer mit
großer Geste wieder freilassen und ihnen nachflöten: »Geeh - geeh - geeh !« Offen gesagt, ich bekomme dort Gänsehaut. Meister Li ließ
mich einmal um den Teich gehen, bis er sah, was er suchte. Er glitt von meinem
Rücken, und wir traten
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