Meister und Margarita
erfährt man nicht alles in dieser Stadt! Hörst du? Ein Steuereintreiber warf das Geld auf den Weg!
Wie darauf reagieren? Also hielt es der Sekretär für angebracht, Pilatus’ Lächeln zu erwidern.
– Er sagte nämlich, das Geld sei ihm von jetzt an verhasst –, erklärte Jeschua die seltsamen Handlungen Levi Matthäus’ und fügte hinzu: – Und seitdem ist er mein Begleiter.
Noch immer die Zähne fletschend, blickte der Statthalter den Häftling an, danach die Sonne, die unabwendbar hinaufschwebte, über die Reiterstatuen des Hippodroms hinweg, welcher tief unten, weit entfernt auf der rechten Seite lag, und dachte plötzlich im Anfall von Übelkeit weckender Qual, die einfachste Sache wäre jetzt wohl: Den kauzigen Missetäter von der Galerie fortscheuchen. Dazu nur zwei Wörter aussprechen: »Hängt ihn«. Die Eskorte fortscheuchen. Aus der Säulenhalle ins Innere des Palastes treten. Das Zimmer abdunkeln lassen. Aufs Lager sinken. Kaltes Wasser verlangen. Mit klagender Stimme Banga, den Hund, herbeirufen. Zusammen mit ihm die Hemicrania beweinen. Und Gift. Der Gedanke daran blühte verlockend und kurz im kranken Kopf des Statthalters auf.
Mit trübem Blick schaute er den Gefangenen an, schwieg eine Weile und fragte sich schmerzhaft, warum in der gnadenlosen Jerschalajimer Sonnenhitze dieser Häftling mit zerschlagenem Gesicht da vor ihm steht und was für unnütze Fragen ihm noch zu stellen sind.
– Levi Matthäus? –, fragte der Kranke heiser und schloss die Augen.
– Ja, Levi Matthäus –, wehte die hohe, ihn quälende Stimme an ihn heran.
– Was genau aber hast du dem Volk auf dem Markt vom Tempel erzählt?
Die Stimme des Antwortenden schien sich in Pilatus’ Schläfe hineinzubohren, eine schier unerträgliche Qual, und die Stimme sprach:
– Ich, Hegemon, lehrte, der Tempel des alten Glaubens würde zerfallen, doch ein neuer Tempel der Wahrheit würde erstehen. Ich redete so, damit es deutlicher wäre.
– Warum hast du Landstreicher das Volk auf dem Markt empört, indem du von Wahrheit sprachst, von welcher du keinen Schimmer besitzt? Was ist denn Wahrheit?
Und der Statthalter dachte: »Ihr Götter! Ich stelle lauter unnütze Fragen bei dem Verhör … Mein Verstand versagt mir den Dienst …« Und wieder erschien vor ihm eine Schale mit dunklem Nass. »Ach, gebt mir, ach, gebt mir doch Gift …«
Und wieder vernahm er die Stimme:
– Die Wahrheit ist zunächst einmal, dass du Kopfschmerzen hast. So starke Kopfschmerzen, dass du kleinmütig sterben willst. Es zehrt an deinen Kräften, mich anzusehen, geschweige denn mit mir zu sprechen. So werde ich, ohne es zu wollen, zu deinem Henker, was mich sehr traurig macht. Du bist nicht einmal mehr fähig, an irgendetwas zu denken, und träumst nur von deinem Hund, dem offenbar einzigen Wesen, an dem du noch hängst. Doch deine Qualen sind gleich zu Ende, dein Kopfschmerz legt sich.
Der Sekretär blieb mitten im Satz stehen, machte große Augen und starrte den Häftling an.
Pilatus hob den zermarterten Blick zum Gefangenen und sah die bereits recht hoch über dem Hippodrom stehende Sonne. Ihr Strahl war inzwischen in die Säulenhalle gedrungen undschlich sich langsam an die abgetragenen Sandalen von Jeschua heran. Jener versuchte, dem Sonnenlicht auszuweichen.
Da richtete sich der Statthalter auf, fasste den Kopf mit den Händen, und sein gelbliches glattrasiertes Gesicht offenbarte blankes Entsetzen. Doch er unterdrückte es sogleich mit einem herrischen Willensimpuls und ließ sich zurück in den Sessel fallen.
Der Häftling setzte indes seine Ansprache fort, während der Sekretär längst aufgehört hatte mitzuschreiben und nunmehr wie eine Gans den Hals reckte, bemüht, sich kein einziges Wort entgehen zu lassen.
– Siehst du, schon ist alles vorbei –, sagte der Häftling und schaute Pilatus wohlwollend an, – ich bin außerordentlich froh darüber. Ich würde dir raten, Hegemon, den Palast für eine Weile zu verlassen und dir ein klein wenig die Füße zu vertreten. Irgendwo in den Vororten, und sei es auch nur in einem der Gärten dort auf dem Ölberg. Es wird gewittern … –, der Gefangene wandte sich etwas ab und blickte zur Sonne, die ihn blendete, – … aber später, am Abend. Ein Spaziergang täte dir wirklich gut, und ich würde dich gern begleiten. Ich habe da ein paar neue Gedanken, die, wie ich meine, auch dich interessieren könnten. Ich möchte sie mit dir teilen, zumal du überaus klug wirkst.
Der Sekretär
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