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Meister und Margarita

Meister und Margarita

Titel: Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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schließlich einen gewissen Bar-Rabban?
    – Nein, diese guten Menschen kenne ich nicht –, erwiderte ihm der Häftling.
    – Wirklich?
    – Wirklich.
    – Und jetzt sage mir doch, warum du die ganze Zeit diesen Ausdruck verwendest: »gute Menschen«? Nennst du am Ende jeden so?
    – Jeden –, gab der Häftling zur Antwort, – es gibt in der Welt keine bösen Menschen.
    – Das höre ich zum ersten Mal –, sagte Pilatus und schmunzelte, – aber vielleicht habe ich einfach zu wenig Lebenserfahrung! … Du brauchst den Rest nicht mitzuschreiben –, wandte er sich an den Sekretär, obwohl jener von sich aus nicht mitschrieb, und sagte weiter zum Häftling: – Stand das in irgendeinem griechischen Buch, das du gelesen hast?
    – Nein, das ist meine eigene Erkenntnis.
    – Und die verkündest du?
    – Ja.
    – Nehmen wir doch den Centurio Marcus, genannt Rattenschreck. Ein guter Mensch?
    – Ja –, sprach der Gefangene, – nur sehr unglücklich. Seitdem gute Menschen ihn derart verunstaltet haben, ist er grausam und roh. Ich möchte wissen, wer ihm das angetan hat.
    – Oh, das will ich dir liebend gern verraten –, sagte Pilatus, – denn ich war dabei. Die guten Menschen fielen über ihn her, wie Hunde über einen Bären. Die Germanen verbissen sich ihm in Hals, Arme und Beine. Der Manipel mit seinem Fußvolk saß in die Klemme. Und wäre nicht die Turma mit ihren Reitern – und zwar unter meinem Kommando – gegen die Flanke geprallt, dann hättest du, Philosoph, jetzt keine Gelegenheit mehr, Rattenschreck kennenzulernen. Es war die Schlacht bei Idistaviso, im Tal der Jungfrauen.
    – Wenn man doch einmal mit ihm reden könnte –, bemerkte der Gefangene plötzlich verträumt, – ich bin mir gewiss: Er würde sich von Grund auf ändern.
    – Ich vermute –, entgegnete Pilatus, – der Legat unserer Legion hätte wenig Freude daran, wenn du mit irgendeinem seiner Offiziere oder Soldaten redetest. Im Übrigen wird das auch gar nicht geschehen – muss sagen: zu jedermanns Glück –, und der Erste, der dafür sorgt, bin ich selbst.
    In diesem Moment flatterte in die Säulenhalle flugs eine Schwalbe herein. Sie beschrieb einen Kreis unter der goldenen Decke, kam nieder und streifte mit ihrer spitzen Schwinge schon beinahe das Antlitz der kupfernen Statue in einer der Nischen. Dann verschwand sie hinter dem Kapitell. Vielleicht hatte sie vorgehabt, dort ein Nest zu bauen.
    Doch während sie flog, bildete sich im nunmehr klaren und leichten Kopf des Statthalters eine Formel – mit folgendem Wortlaut: »Der Hegemon hat den Fall des umherziehenden Philosophen Jeschua – auch bekannt als Ha-Nozri – eingehend untersucht. Der Tatbestand eines Rechtsbruchs liegt nicht vor. So konnte insbesondere keine Verbindung zwischen den Handlungen Jeschuas und den jüngsten Unruhen in Jerschalajim festgestellt werden. Der umherziehende Philosoph ist ganz offenbar geistesgestört. In Anbetracht dessen wird der Statthalter das Todesurteil des Kleinen Synedrions nicht bestätigen. Weil jedoch die närrischen, phantasmagorischen Reden Ha-Nozris in Jerschalajim Anstoß erregen könnten, entfernt der Statthalter Jeschua aus Jerschalajim und ordnet an, ihn in Caesarea Stratonis am Mittelmeer einzukerkern, das heißt, in des Statthalters eigener Residenz.« Er brauchte es nur noch dem Sekretär zu diktieren.
    Die Schwingen der Schwalbe schnauften über dem Kopf desHegemons. Der Vogel flitzte ans Brunnenbecken und eilte ins Freie hinaus. Der Statthalter hob den Blick zum Gefangenen – neben ihm eine strahlende Wolke von Staub.
    – Ist das alles, was gegen ihn vorliegt? –, fragte der Statthalter den Sekretär.
    – Nein, leider nicht –, gab der Sekretär überraschenderweise zur Antwort und reichte Pilatus ein weiteres Pergament.
    – Was denn noch? –, fragte Pilatus mit Stirnrunzeln.
    Nachdem er das ihm übergebene Schriftstück gelesen hatte, veränderte sich sein Gesicht noch mehr. War das dunkle Blut in den Hals, in den Kopf gestiegen? War etwas anderes geschehen? Doch hat seine Haut ihre gelbe Farbe verloren, wurde bräunlicher, und die Augen wirkten wie eingebrochen.
    Das Blut war an alldem schuld: Es strömte, es trommelte gegen die Schläfen. Und das Sehvermögen, was ereignete sich mit ihm? Der Kopf des Häftlings driftete fort, während an seiner Stelle ein neuer erstand. Ein kahler Kopf und darauf eine goldene Krone mit spärlichen Zacken. Die Stirn – ein einziges rundes Geschwür, das die Haut zerfraß und von

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