Meister und Margarita
Schulter geworfen. Es war der Legat der Legion. Ihn fragte der Statthalter nach dem Verbleib der Sebasterkohorte. Der Legat berichtete, die Sebaster seien in Stellung auf dem Vorplatz des Hippodroms, dort wo der Menge das Urteil über die Missetäter verlesen wird.
Und der Statthalter wies den Legaten an, aus der Römerkohorte zwei Centurien zusammenzustellen. Die eine, von Rattenschreck angeführt, soll die Missetäter, die Karren mit Hinrichtungswerkzeugen und Scharfrichtern auf ihrem Weg zum Kahlen Berg eskortieren, um, dort angelangt, die obere Absperrung zu verstärken. Die andere sich ohne Aufschub zum Kahlen Berg begeben und sofort mit der Absperrung beginnen. Für denselben Zweck, das heißt, zur Verteidigung des Berges, bat der Statthalter den Legaten, als zusätzliches Reiterregiment die Syrische Ala zu entsenden.
Nachdem der Legat die Galerie verlassen hatte, befahl der Statthalter dem Sekretär, den Ältesten des Synedrions, zwei seiner Mitglieder samt dem Kommandanten der Jerschalajimer Tempelwache in den Palast zu laden, und bat ihn, es dabei so einzurichten, dass er vor der Beratung mit all diesen Männern den Ältesten unter vier Augen sprechen könnte.
Der Befehl des Statthalters wurde schnell und exakt ausgeführt. Die Sonne, die an jenen Tagen Jerschalajim mit unbändiger Wut schmoren ließ, hatte noch nicht einmal ihren höchsten Punkt erreicht, als auf der obersten Gartenterrasse vor den zwei weißen marmornen Löwen, welche die Treppe bewachten, der Statthalter mit dem amtierenden Ältesten des Synedrions, dem Hohenpriester von Judäa Joseph Kaiphas, zusammentraf.
Im Garten war es still. Doch aus der Säulenhalle in die lichtüberströmte und palmenbewachsene obere Gartenanlage getreten, die auf ungeheuren Elefantenfüßen ruhte und von der aus sich ihm dieses ganze verhasste Jerschalajim eröffnete – mit all seinen hängenden Brücken, Festungen und insbesondere mit dem jeder Beschreibung trotzenden Marmorhaufen, den statt eines Dachs goldene Drachenschuppen bedeckten: dem Tempel von Jerschalajim, erlauschte der Statthalter mit feinem Gehörsinn fern und tief, dort, wo die steinerne Mauer die unteren Terrassen des Königsgartens vom Vorplatz trennte, ein dumpfes Grollen, daraus sich zuweilen armselige dünne Stimmchen hinaufschwangen, als würden sie stöhnen oder schreien.
Und er begriff: Dort auf dem Platz hat sich eine riesige Menge versammelt – die von den jüngsten Unruhen aufgebrachten Bürger der Stadt Jerschalajim. Und die Menge harrte ungeduldig des Urteils, und die rastlosen Wasserverkäufer schrien.
Der Statthalter lud als Erstes den Hohenpriester zur Galerie, um sich vor der sengenden Glut zu schützen, doch Kaiphas entschuldigte sich höflich und erklärte, dies sei nicht möglich so kurz vor dem Fest. Pilatus zog eine Kapuze über seinen schon etwas kahl gewordenen Kopf und begann mit der Unterredung. Die Unterredung verlief auf Griechisch.
Pilatus sagte, er habe den Fall des Jeschua Ha-Nozri untersucht und das gefällte Todesurteil bestätigt.
Und somit werden dem Scharfrichter heute drei Räuber zur Hinrichtung übergeben: Dysmas, Gestas, Bar-Rabban. Und außerdem noch dieser Jeschua Ha-Nozri. Die ersten zwei, die versucht hatten, das Volk zum Aufruhr gegen Caesar anzustacheln, wurden von der römischen Macht im Kampf gefangen genommen, befinden sich folglich in der Gewalt des Statthalters und werden nicht Gegenstand der Unterhaltung sein. Die beiden anderen jedoch, Bar-Rabban und Ha-Nozri, wurden von der örtlichen Macht ergriffen und daraufhin vom Synedrion verurteilt. Dem Gesetz entsprechend, dem Brauch entsprechend, wird zu Ehren der heutigen großen Pessach-Feier einem von beiden die Freiheit geschenkt.
Darum will der Statthalter wissen, welchen der beiden Verbrecher das Synedrion freizulassen gedenkt: Bar-Rabban oder Ha-Nozri?
Kaiphas senkte den Kopf zum Zeichen, dass er die Frage verstanden hatte, und gab zur Antwort:
– Das Synedrion bittet für Bar-Rabban.
Der Statthalter wusste nur zu gut, dass der Hohepriester so antworten würde. Doch er hatte sich vorgenommen, zu zeigen, dass ihn das sehr in Staunen versetzte.
Dies tat Pilatus mit großem Geschick. Die Brauen in seinem blasierten Gesicht hoben sich, und voller Verwunderung blickte der Statthalter dem Hohenpriester direkt in die Augen.
– Ich muss gestehn, Eure Antwort überrascht mich zutiefst –, begann der Statthalter sanft, – und ich fürchte, ein Missverständnis liegt vor.
Pilatus
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