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Meister und Margarita

Meister und Margarita

Titel: Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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jungen Mann streifte, lüftete sie kurz die Verschleierung, warf ihm einen Blick zu, verlangsamte jedoch dabei keinesfalls ihre Schritte, beschleunigte sie vielmehr, wie um vor ihm zu fliehen.
    Nicht nur bemerkte der junge Mann die Frau, er erkannte sie sofort, erbebte, erstarrte, schaute ihr nach und versuchte, ihr hinterherzulaufen. Beinahe wäre er mit jemandem zusammengestoßen, der einen Krug in den Händen hielt. Dann aber holte er die Frau ein und rief schwer atmend und voll Erregung:
    – Nisa!
    Sie wandte sich um und verkniff die Augen. Dabei zeigte sich in ihrem Gesicht ein eiskalter Ärger. Auf Griechisch sprach sie:
    – Ach, du bist das, Judas? Ich habe dich im ersten Moment gar nicht erkannt. Aber das ist gut so, denn wir haben ein Omen: Nicht erkannt, bedeutet reichen Gewinn …
    Wilde Sprünge tat Judas’ Herz, ein Vogel unter dem schwarzen Tuch. Sich stets verhaspelnd und in Angst, andere könnten es hören, hauchte er:
    – Sag, wo gehst du denn hin, Nisa?

    – Wieso willst du das unbedingt wissen? –, antwortete Nisa von oben herab und bremste etwas.
    Da bekam Judas’ Stimme schon beinahe kindliche Untertöne, und verschüchtert fragte er:
    – Aber … Es war doch ausgemacht … Ich ging zu dir. Du hast mir gesagt, du bliebest heute den ganzen Abend zu Hause …
    – Ach was! –, versetzte Nisa und schob launisch die untere Lippe vor. Da wurde ihr Gesicht noch schöner. Dieses schönste Gesicht der Welt. – Ich habe mich gelangweilt. Ihr feiert euer Fest, und was bitte schön soll ich tun? Nur dasitzen und deinen Seufzern draußen auf der Terrasse lauschen? Und bangen, dass unsere alte Magd von all dem meinem Herrn Gatten sagt? Ach was! Lieber gehe ich vor die Stadt und höre mir die Nachtigalllieder an.
    – Wie, vor die Stadt? –, fragte Judas verwirrt. – Allein?
    – Ja, selbstverständlich allein –, antwortete Nisa.
    – Erlaube mir, dich zu begleiten –, flehte Judas ganz außer Atem. Da löste sich alles auf Erden auf. Und seine bettelnden Augen starrten in diese doch eigentlich hellblauen, jetzt aber tiefschwarzen Augen.
    Nisa schwieg und ging erneut schneller.
    – Warum sagst du denn nichts, Nisa? –, klagte Judas und holte sie ein.
    – Und wenn du mich auch langweilen wirst? –, fragte sie plötzlich und blieb stehen. Und Judas verlor sich nun vollends.
    – Na, sei es drum! –, wurde sie wieder gnädig. – Gehen wir.
    – Und wohin, wohin?
    – Warte … Lass uns in diesen Hof verschwinden und einen Treffpunkt ausmachen. Sonst sieht mich womöglich noch ein Bekannter. Und hinterher heißt es, ich sei mit einem Liebhaber auf der Straße gewesen.
    Und von Nisa und Judas blieb am Bazar auf einmal keine Spur mehr zurück. Sie unterredeten sich heimlich in der Einfahrt zu irgendeinem Hof.

    – Geh zum Olivengut –, flüsterte Nisa, zog den Schleier über die Augen und wandte sich von jemandem ab, der gerade mit einem Eimer durch den Hof schritt, – nach Gat-Schmanim, auf der anderen Seite des Kidron, hast du verstanden?
    – Ja, ja, ja.
    – Ich gehe zuerst –, sprach sie weiter, – du aber läufst mir nicht einfach nach, sondern folgst in einer gewissen Entfernung. Ich gehe zuerst … Und wenn du den Fluss überquerst … Du weißt, wie du dich der Grotte näherst?
    – Ja, weiß ich, weiß ich …
    – Du gehst an der Olivenpresse vorbei, dann hinauf und danach zur Grotte. Ich werde dort sein. Lauf mir nicht nach! Sondern habe Geduld und warte hier. – Und mit diesen Worten verließ sie die Einfahrt, als hätte sie nie mit Judas gesprochen.
    Judas stand eine Weile allein. Die Verwandten. Sie werden zweifellos fragen, warum er beim festlichen Pessach-Mahl fehlt. Also schnell: Sich etwas einfallen lassen. Gut, nur was? Und dann die Beine – sie bewegen sich ganz von selbst aus dem Hof.
    Jetzt änderte er seinen früheren Weg. Nicht mehr in die Untere Stadt, vielmehr zurück zum Palast des Kaiphas. Auf den Straßen wurde bereits gefeiert. In den Fenstern um Judas herum brannten nicht nur die Lichter, sondern erklangen auch schon die Dankgebete. Die letzten Verspäteten hetzten peitschend und brüllend ihre Esel. Die Beine trugen Judas von selbst. Er war für alles rings blind und taub. Kein Vorbeisausen der bemoosten grauenerregenden Antonia-Türme. Kein Trompetengeheul im Inneren der Festung. Keine römische Reiterpatrouille mit Fackeln, die einen besorgniserregenden Schein auf seinen Weg verströmten.
    Nachdem er einen der Türme passiert hatte, drehte Judas sich um,

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