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Meister und Margarita

Meister und Margarita

Titel: Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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und versteckte es in den Falten des Umhangs.
    – Ich erwarte einen Bericht –, sagte Pilatus, – erstens, über die Bestattung und, zweitens, in der Sache Judas von Kirjath. Nochdiese Nacht! Hörst du, Afranius? Noch heute! Die Wache wird angewiesen werden, mich zu wecken, sobald du kommst. Ich erwarte dich.
    – Habe die Ehre –, sprach der Kommandant des Geheimdienstes, wandte sich ab und verließ die Galerie. Seine Sohlen knirschten auf dem feuchten Sand der Terrasse, tönten auf dem Marmorboden zwischen den Löwen. Dann wurden seine Beine abgesägt. Danach der Rumpf. Zuletzt die Kapuze. Der Statthalter sah hoch: Keine Sonne mehr. Es graute.

Kapitel 26
Die Bestattung
    Es graute. Vielleicht ein Grund dafür, warum der Statthalter derart verändert war – gealtert, krumm, vor allem besorgt. Einmal wandte er sich um, warf einen Blick auf den leeren Sessel, über dessen Lehne der Mantel hing, und erbebte. Die festliche Nacht rückte näher. Die Abendschatten trieben ihr Spiel. War es die Müdigkeit, oder saß da wirklich jemand im Sessel? Keine kindliche Angst mehr: Pilatus berührte den Mantel, ließ ihn los und begann, auf der Galerie hin und her zu laufen. Mal rieb er sich die Hände, mal stürzte er zum Tisch und griff nach der Schale, mal blieb er stehen und starrte stumpf das Mosaik am Boden an, irgendwelche Schriftzeichen darauf entziffernd.
    Ach, die Trauer. Schon zum zweiten Mal. Und er fasste sich an die Schläfen. Von den höllischen Schmerzen heute Morgen ist nur ein dumpfer Nachhall geblieben. Aber woher dieses Aufgewühltsein? Keine Frage, woher, doch wozu es sagen? Mit dem Tag war etwas verloren gegangen, und zwar unwiderruflich, und zwar für immer. Wie lässt sich das jetzt noch retten? Durch all die kleinlichen, all die nichtigen und darüber hinaus verspäteten Handlungen? Aber sind all die abendlichen Handlungen nicht in der Tat genauso bedeutsam, wie die Urteilsverkündung gegen Mittag? Und wenn ja, warum fällt es dann so schwer, daran zu glauben?
    Bei einer der Runden, die er drehte, blieb er plötzlich stehen und pfiff. Daraufhin erklang in der Dämmerung ein tiefes Bellen, und aus dem Garten kam sogleich auf die Galerie ein riesiger Hund gesprungen – mit grauem Fell, gespitzten Ohren und goldenen Verzierungen am Halsband.
    – Banga, Banga –, rief Pilatus leise.
    Der Hund stellte sich auf die Hinterpfoten, hob die vorderen auf seines Herrn Schultern, wobei er ihn beinahe umstieß, und leckte kurz über dessen Wange. Der Statthalter nahm im Sessel Platz. Banga streckte sich mit hängender, hechelnder Zunge zu Pilatus’ Füßen aus. Seine Augen sagten: »Ein Glück, der Sturm ist endlich vergangen. Der Sturm, das Einzige, wovor ich, ein tapferer Hund, mich fürchte. Und ein Glück, dass ich wieder da bin, neben dem Mann, den ich liebe, verehre und für den Mächtigsten auf Erden halte, den Herrscher über das Menschengeschlecht, weshalb auch ich unter den Lebenden bevorzugt, erhöht und gezeichnet bin!« Aber jetzt, zu seines Herrn Füßen liegend und den Blick nicht einmal auf ihn, sondern in den abendlichen Garten gerichtet, wusste der Hund: Der Gebieter wurde von einem Unglück heimgesucht. Deshalb wechselte er die Pose: Stand auf, näherte sich von der Seite, schob die Schnauze und die Tatzen in Pilatus’ Schoß und beschmierte dabei den Saum seines Umhangs mit nassem Sand. »Ich will dich trösten und bin bereit, jedes Unheil mit dir zu tragen.« Das drückten seine Blicke aus, die er schräg von unten dem Statthalter sandte, genauso wie seine angespannten gespitzten Ohren. Und zusammen begingen der Mensch und der Hund – zwei einander liebende Wesen – die festliche Nacht auf der Galerie.
    Zur selben Zeit entwickelte der vorige Besucher des Statthalters große Geschäftigkeit. Er verließ die obere Gartenterrasse vor der Galerie, stieg noch eine weitere Stufe tiefer, bog nach rechts ab zu den Kasernen, die sich auf dem Gebiet des Palastes befanden. In diesen Kasernen waren eben jene zwei Centurien untergebracht, die Pilatus während der Feierlichkeiten in Jerschalajim begleitet hatten, zusammen mit der vom Besucher geleiteten Geheimen Wache des Statthalters. Dort verbrachte er eine kurze Weile, kaum mehr als zehn Minuten. Aber nachdiesen zehn Minuten rollten vom Kasernenhof drei Wagen fort, beladen mit Schanzgerät und einem Fass Wasser. Nebenher ritten fünfzehn Mann in grauen Mänteln. Es ging nach Westen, durch die hintere Pforte, dann durch das Tor auf die Jaffa-Straße,

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