Meister und Margarita
jemand und hingerichtet? Sollte das wirklich zu glauben sein? Die Hinrichtung hat nicht stattgefunden! Nicht stattgefunden! – Der besondere Reiz dieser mondenen Treppenbesteigung.
Und vor uns – alle Zeit der Welt. Es wird gewittern, aber später, am Abend. Und eins der größten menschlichen Laster ist die Feigheit, ganz zweifellos. Also sprach Jeschua Ha-Nozri. Nein, Philosoph, du irrst dich gewaltig: Die Feigheit, sie ist das größte Laster!
Wann hätte der Statthalter von Judäa Angst gehabt? Etwa als Tribun seiner Legion im Tal der Jungfrauen? Als der große Marcus Rattenschreck von Germanen beinahe zerfleischt wurde? Nein! Doch mit Verlaub, Philosoph: Glaubst du – ein überaus kluger Mann –, dass der Statthalter von Judäa wegen eines Menschen, der ein Verbrechen gegen Caesar begangen hat, seine gesamte Kariere zerstört?
– Ja, ja –, stöhnte und seufzte Pilatus im Traum.
In der Tat, er wird sie zerstören. Noch heute Morgen hätte er sie nicht zerstört. Aber jetzt in der Nacht – nach reiflicher Prüfung – ist er bereit, sie zu zerstören. Er wird alles tun, um den verrückten Träumer und Arzt, den keinerlei Schuld trifft, vor der Hinrichtung zu bewahren!
– Nun werden wir immer zusammengehören –, sagte im Traum der gebildete Wanderphilosoph. Aus welch einem Grunde kreuzte er auch den Weg des Reiters Goldener Speer? – Wo der eine ist, wird der andere sein! Werde ich genannt, wirst du mit erwähnt! Ich, Findling, Kind unbekannter Eltern, und du, Sohn des Sterndeuterkönigs und der schönen Müllerstochter Pila.
– Dann sieh auch zu, dass du mich, einen Sohn des Sterndeuterkönigs, nicht vergisst –, bat Pilatus im Traum. Und als der Bettler aus Gamala im Traum daraufhin mit dem Kopf nickte, weinte und lachte der grausame Statthalter von Judäa vor Freude im Traum.
Das alles war gut. Umso erschreckender das Erwachen des Hegemons. Banga knurrte den Mond an, und die glatte, wie mit Öl bestrichene blaue Straße brach jählings ein. Pilatus öffnete seine Lider: Die Hinrichtung hat stattgefunden. Das Erste, was er tat, war es, den Hund am Halsband zu packen. Dann suchte er mit kranken Blicken den Mond. Dieser hatte sich etwas verschoben, versilbert. Und sein Licht wurde von einem unangenehmen und rastlosen Leuchten gestört, welches ihm dort auf der Galerie unmittelbar vor den Augen huschte. In der Hand von Centurio Rattenschreck flackerte eine rußige Fackel. Der sie hielt, schielte ängstlich und böse auf das grimmige Tier, das sich zum Sprung bereitmachte.
– Banga! Aus! –, befahl der Statthalter mit kranker Stimme und hustete. Sich vor der Flamme abschirmend, sprach er: – Sogar in der Nacht und beim Mondschein ist mir keine Ruhe vergönnt. Ihr Götter! Ja, Marcus, dein Amt ist auch nicht besser. Du verstümmelst Soldaten …
Zutiefst verwundert schaute Rattenschreck den Statthalter an, und jener besann sich. Die halb im Schlaf ausgesprochenen unnützen Worte wiedergutzumachen, sagte Pilatus:
– Nimm es mir nicht übel, Centurio. Meine Lage ist in der Tat noch sehr viel misslicher als deine. Was willst du?
– Der Kommandant Eures Geheimdienstes wünscht Euch zu sprechen –, verkündete Marcus mit Gelassenheit.
– Er soll kommen, er soll kommen –, begehrte der Statthalter, räusperte sich und tastete barfuß nach seinen Sandalen. Schon zuckten die Flammen auf den Säulen, schon schritt der Centurio in den Garten, auf dem Mosaik mit den Caligen klappernd.
– Selbst beim Mondschein ist mir keine Ruhe vergönnt –, murmelte Pilatus zähneknirschend.
Anstelle des Centurios erschien auf der Galerie der Mann mit Kapuze.
– Banga! Platz! –, sprach Pilatus leise und fasste mit der Hand nach dem Nacken des Hundes.
Bevor er zu reden begann, sah Afranius sich gewohnheitsmäßig um und trat in den Schatten. Doch bis auf Banga waren keine Unbefugten zugegen. Dann sagte er mit verhaltener Stimme:
– Statthalter, lasst mich in Ketten werfen. Ihr hattet recht. Es gelang mir nicht, Judas von Kirjath zu beschützen. Er wurde erstochen. Ich habe es verdient, verurteilt und vom Dienst suspendiert zu werden.
Vier Augen starrten Afranius an: zwei eines Hundes und zwei eines Wolfes.
Er zog unter seinem Rock eine blutverkrustete doppelt versiegelte Börse hervor.
– Diese Geldbörse schickten die Mörder in den Hohenpriesterpalast. Es ist das Blut des Judas von Kirjath, das daran klebt.
– Ich bin nur neugierig, wie viel es ist? –, fragte Pilatus und beugte sich über
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