Meistererzählungen
sie saß in einem Büro in der Stadt und schrieb auf der Maschine, selten nur glückte es, daß er sie sah, und nie allein. Und sie liebte er, gerade sie, die nichts von ihm wußte, die ihn nicht kannte, nicht ver stand, für die er nur ein seltner seltsamer Vogel, ein fremder berühmter Maler war. Wie 349
seltsam war das, daß gerade an ihr sein Verlangen hän-genblieb, daß kein anderer Liebesbe cher ihm genügte.
Er war es nicht gewohnt, lange Wege um eine Frau zu gehen. Um Gina ging er sie, um eine Stunde ne ben ihr zu sein, ihre schlanken kleinen Finger zu halten, sei nen Schuh unter ihren zu schieben, einen schnellen Kuß auf ihren Nacken zu drücken. Er sann darüber nach, sich selbst ein drolliges Rätsel. War dies schon die Wende?
Schon das Alter? War es nur das, nur der Johannistrieb des Vierzigjäh rigen zur Zwanzigjährigen?
Der Bergrücken war erreicht, und jenseits brach eine neue Welt dem Blick entgegen: hoch und unwirklich der Monte Gennaro, aufgebaut aus lauter steilen spitzen Pyramiden und Kegeln, die Sonne schräg dahinter, jedes Plateau emailglän zend auf tief violetten Schatten schwimmend. Zwischen dort und hier die fl immernde Luft, und unendlich tief verloren der schmale blaue See-arm, kühl hinter grünen Waldfl ammen ruhend.
Ein winziges Dorf auf dem Berggrat: ein Herrschafts-gut mit kleinem Wohnhaus, vier, fünf andere Häuser, steinern, blau und rosig bemalt, eine Kapelle, ein Brunnen, Kirsch bäume. Die Gesellschaft hielt in der Sonne am Brunnen, Klingsor ging weiter, durch einen Torbo-gen in ein schattiges Gehöft, drei bläuliche Häuser standen hoch, mit wenig klei nen Fenstern, Gras und Geröll dazwischen, eine Ziege, Brennesseln. Ein Kind lief vor ihm fort, er lockte es, zog Schokolade aus der Tasche.
Es hielt, er fi ng es ein, streichelte und fütterte es, es war 350
scheu und schön, ein kleines schwar zes Mädchen, erschrockene schwarze Tieraugen, schlanke nackte Beine braun und glänzend. »Wo wohnt ihr?« fragte er, sie lief zur nächsten Tür, die in dem Häusergeklüft sich öff ne-te. Aus einem fi nstern Steinraum wie aus Höhlen der Urzeit trat ein Weib, die Mutter, auch sie nahm Schokolade. Aus schmutzigen Kleidern stieg der braune Hals, ein festes breites Gesicht, sonnverbrannt und schön, breiter voller Mund, großes Auge, roher süßer Liebreiz, Geschlecht und Mutterschaft sprach breit und still aus großen asiatischen Zügen. Er neigte sich verführend zu ihr, sie wich lächelnd aus, schob das Kind zwischen sich und ihn. Er ging weiter, zu einer Wiederkehr entschlossen.
Diese Frau wollte er malen, oder ihr Geliebter sein, sei es nur eine Stunde lang. Sie war alles: Mutter, Kind, Geliebte, Tier, Madonna.
Langsam kehrte er zur Gesellschaft zurück, das Herz voll von Träumen. Auf der Mauer des Gutes, dessen Wohnhaus leer und geschlossen schien, waren alte rauhe Kanonenku geln befestigt, eine launische Treppe führte durch Gebüsch zu einem Hain und Hügel, zu oberst ein Denkmal, da stand barock und einsam eine Büste, Kostüm Wallenstein, Locken, gewellter Spitz-bart. Spuk und Phantastik umglühte den Berg im glei-
ßenden Mittagslicht, Wunderliches lag auf der Lauer, auf eine andere, ferne Tonart war die Welt gestimmt.
Klingsor trank am Brunnen, ein Segelfalter fl og her und 351
sog an den verspritzten Tropfen auf dem kalksteinernen Brunnen rand.
Dem Grat nach führte die Bergstraße weiter, unter Kasta nien, unter Nußbäumen, sonnig, schattig. An einer Biegung eine Wegkapelle, alt und gelb, in der Nische verblichene alte Bilder, ein Heiligenkopf engelsüß und kindlich, ein Stück Gewand rot und braun, der Rest verbröckelt. Klingsor liebte alte Bilder sehr, wenn sie ihm ungesucht entgegenkamen, er liebte solche Fresken, er liebte die Wiederkehr dieser schö nen Werke zum Staub und zur Erde.
Wieder Bäume, Reben, heiße Straße blendend, wieder eine Biegung: da war das Ziel, plötzlich, unverhoff t: ein dunkler Torgang, eine große hohe Kirche aus rotem Stein, froh und selbstbewußt in den Himmel hinan ge-schmettert, ein Platz voll Sonne, Staub und Frieden, rot verbrannter Rasen, der unterm Fuße brach, Mittagslicht von grellen Wänden zu rückgeworfen, eine Säule, eine Figur darauf, unsichtbar vor Sonnenschwall, eine Steinbrüstung um weiten Platz über blauer Unendlichkeit. Dahinter das Dorf, Kareno, uralt, eng, fi nster, sarazenisch, düstere Steinhöhlen unter verblichen braunem Ziegelstein, Gassen bedrückend traumschmal und voll Finsternis, kleine
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